Freitag, 26. April 2024

Vor 50 Jahren forderte Lutz Stoklasa den großen Mark Spitz heraus

Peter Jacob Gute Laune bei den Spielen 1972: Lutz Stoklasa (rechts) scherzt mit Teamkolle Folkert Meeuw.

München, 30. August 1972. Lutz Stoklasas großer Tag bei den Olympischen Spielen in der bayerischen Landeshauptstadt. Der Delfinschwimmer startet am Vormittag im Vorlauf über seine Paradestrecke 100 Meter. Direkt nach dem Sportler, damals Mitglied von Wacker Burghausen, schwimmt der Star der Spiele: Mark Spitz. Spitz gewinnt seinen Lauf souverän, Stoklasa schafft mit einer Zeit von 57,50 Sekunden den Einzug ins Halbfinale.

Fast genau 50 Jahr später. Ein sonniger Tag im Spätsommer auf Föhr. Ein bestens gelaunter Lutz Stoklasa sitzt auf der Terrasse seines Hauses am Ortsrand von Wyk auf Föhr. Er ist mittlerweile 73 Jahre alt, hat bis zum 31. August als niedergelassener Hausarzt gearbeitet. Nach rund vier Jahrzehnten auf Föhr ist Lutz Stoklasa nun im Ruhestand. Der Mediziner erzählt von Anno dazumal, von Olympia in München, von den zunächst heiteren Spielen, die in aller Welt gelobt werden, die nach den Schwimmwettbewerben aber jäh und hart aus der Euphorie gerissen werden. Der Anschlag arabischer Terroristen auf israelische Sportler am 5. September 1972 schockt alle. Auch Lutz Stoklasa. Die freudige Stimmung in München, der Stadt, in der er studiert, „war weg“. Trotzdem ist er erleichtert, dass die Spiele nur unterbrochen, nicht abgebrochen werden. The Games must go on, heißt es vonseiten des Internationalen Olympischen Komitees. Man ist überzeugt: Mit dem vorzeitigen Aus für die Spiele würden die Terroristen gewinnen. Das darf auf keinen Fall passieren.

Peter Jacob Ohne Kappe, ohne Brille: Lutz Stoklasa war einer der besten Delfinschwimmer seiner Zeit.

Erst Schwimmer, dann Arzt

Rückblick. Dezember 1949. Der kleine Lutz erblickt in Thüringen das Licht der Welt. Dass er später zu einem Superschwimmer wird und dann Arzt, ist ein paar Zufällen zu verdanken. Oder dem Schicksal? Die Familie flüchtet bald nach der Geburt von Lutz in den Westen Deutschlands. Ein paar Jahre darauf versuchen die Stoklasas ihr Glück in Australien, kommen aber bald zurück. Vater Stoklasa findet Arbeit in Burghausen, deshalb landet die Familie in Bayern.

In Burghausen, erzählt Stoklasa im Jahr 50 nach den Münchener Spielen, sei damals nicht viel geboten worden – außer das Freibad, dessen Becken mit der Abwärme des Wacker-Chemiewerks beheizt wird und das deshalb von Mitte März bis in den November hinein geöffnet ist. Lutz wird Mitglied bei Wacker Burghausen, was für den Buben auch bedeutet: jederzeit freier Eintritt ins Freibad. Er muss allerdings auch mit der Trainingsgruppe schwimmen. Aber was heißt hier muss? Er darf!

Duell mit Mark Spitz

Peter Jacob Lutz Stoklasa zeigt seine beeindruckende Sammlung.

Wegen des beheizten Beckens ist die deutsche Nationalmannschaft immer wieder für Trainingslager in der Stadt. Auch die mehrfache deutsche Meisterin Ursel Brunner kommt regelmäßig nach Burghausen. Sie ist acht Jahre älter und habe ihn quasi entdeckt, sagt Stoklasa. Die Freistilspezialistin habe ihn motiviert, ihm Trainingspläne geschrieben. Schnell stellen sich Erfolge ein. 1966 wird der junge Mann aus dem kleinen Burghausen Deutscher Meister über 100 Meter Delfin. 1968 schwimmt er Europarekord in 58,0 Sekunden und startet bei Olympia. In Mexiko trifft er sogar direkt auf Mark Spitz, schlägt im Halbfinale eine Sekunde später als Zweiter an und wird im Finale Siebter.

Schon als Schüler ist für Stoklasa klar: „Ich werde Medizin studieren.“ Ein toller Hausarzt in Burghausen habe ihn motiviert. Nach dem Studium und nach Stationen unter anderem in Kliniken in Freiburg und in Donauwörth sucht und findet Stoklasa eine neue Herausforderung. Das kleine Krankenhaus in Wyk sucht einen „Kollegen, der die Idee einer humanen Klinik mittragen will“, heißt es in der Stellenausschreibung. Der Mann aus Bayern landet 1981 am anderen Ende der Republik.

Sport bleibt zeitlebens seine Passion. Lutz Stoklasa beginnt zu reiten, er joggt, segelt, surft, geht ins Fitnessstudio. Mitte der 1990er-Jahre packt ihn noch mal der Ehrgeiz als Schwimmer. Die Weltspiele der Mediziner 1996 und dann erneut 1998 werden seine letzten großen Meisterschaften, in Lissabon und zwei Jahre später in Klagenfurt holt er viele Medaillen.

Endlich wieder Zeit für Sport

Seit 1984 arbeitet Lutz Stoklasa nicht mehr in der Klinik, sondern als niedergelassener Arzt auf Föhr. Während der ersten Jahre an der Nordsee habe er immer mal wieder mit dem Gedanken gespielt, zurück nach Burghausen zu ziehen, sagt Stoklasa, der auch nach vier Jahrzehnten in Schleswig-Holstein noch mit einem leichten bayerischen Dialekt spricht. Doch alle vier Kinder sind in Norddeutschland daheim, der älteste Sohn lebt in Hamburg, eine Tochter studiert in Kopenhagen, die zwei jüngeren Töchter besuchen die dänische Schule in Flensburg. Keine Frage: Lutz Stoklasa bleibt auf Föhr. Für seine Praxis habe er bis dato keinen Nachfolger gefunden, leider. Er wolle sich noch rund ein Jahr Zeit geben. Falls sich bis 2023 kein Mediziner finde, der Interesse hat, dann werde er die Räume anderweitig nutzen. Womöglich vermieten. Die Kinder indes haben längst Interesse angemeldet: Ein Hobbyraum wäre doch cool.

Fortan hat Lutz Stoklasa also viel Zeit. Auch für Sport. Er müsse nun aber erst mal eine OP am Sprunggelenk hinter sich bringen, dann, sagt er, dann werde er sicherlich auch wieder schwimmen – aber just for fun, im kleinen Hallenbad auf Föhr.

Hinweis: Dieser Artikel ist zuerst auf shz.de erschienen.

Martin Tschepe
Martin Tschepehttp://www.bahn9.de/
Martin Tschepe ist freier Autor, Swimguide, Freiwasser- und Eisschwimmer des SV Ludwigsburg.

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