Wenn andere frierend mit Wintermantel und Mütze das Haus verlassen, schlüpfe ich am liebsten in meinen Badeanzug und gehe draußen schwimmen. Eisschwimmen. Das Gute ist: Es kostet nichts. Außer Überwindung.
Es zahlt sich aus, sagen sowohl Neulinge, als auch erfahrene Eisnixen und Eiswassermänner – aus ganz subjektiver Sicht. Ich bin eine davon. Der Körper schüttet Endorphine aus und ich fühle mich schon im kalten Wasser richtig gut. Belebt. Erfrischt. Gefordert. Zufrieden. Die Kälte wirkt wie ein Herz-Kreislauf-Training – wie mein erhöhter Puls auf der Uhr zeigt. Hier war ich vormittags vier Minuten in der 3,4 Grad kalten Eistonne und drei Stunden später bei 8,6 Grad Wassertemperatur Schwimmen im See:
Winterschwimmen? Eisbaden?
Noch einmal zur Definition: Es gibt kaltes, sehr kaltes und eiskaltes Wasser. Oft ist das Empfindungssache. Aber es gibt auch klare Regularien und Begrifflichkeiten. Nationale und internationale Rekorde im Eisschwimmen gelten erst ab einer Wassertemperatur unter 5 Grad, alles darüber ist kein Eisschwimmen, sondern Winterschwimmen. Und Schwimmen ist auch nicht gleich Baden. Schwimmen heißt Strecke machen, Baden heißt Dippen, also wie in einer Badewanne an einer Stelle bleiben.
Eiswasser in der Forschung
Alles davon kann einen positiven Effekt auf die Leistungs- und Regenerationsfähigkeit haben, sagt Professor Patrick Wahl von der Sporthochschule Köln. Er arbeitet am Institut für Leistungsphysiologie und ist beim Deutschen Forschungszentrum für Leistungssport tätig. Hier gehören Belastungsmanagement und Regeneration zu den großen Themen – auch mithilfe von Kälteanwendungen wie Kältekammern und Eiswürfelbädern. Die grundlegende Frage für Professor Wahl ist: Welchen Effekt kann eine Kälteanwendung auf Ausdauersportler haben? Und die Erkenntnisse sind spannend. Im Rahmen von Wettkämpfen und Turnieren, also bei mehrfacher Belastung innerhalb eines Tages oder mehrerer aufeinanderfolgender Tage, zeigen Eisbäder einen durchaus positiven Effekt auf die Leistungsfähigkeit und Regeneration der Athleten, denn Kälte unterbindet je nach Art und Länge der Anwendung entzündliche Prozesse in der Muskulatur, sodass zum Beispiel seltener Muskelkater auftritt.
Heißt, dass man im besten Falle Schmerzen vermeiden und schneller wieder leistungsfähig sein kann. „Aber gewisse entzündliche Prozesse gehören natürlich zu einer Anpassung des Körpers durch ein Ausdauertraining dazu und sollten nicht permanent unterbunden werden. Beim Kraftsport kann eine Kälteexposition sogar eher negativ sein“, so Professor Wahl.
SWIM-Blog „EISZEIT“
Blog 1: Je kälter, desto besser
Die richtige Vorbereitung
Ich persönlich freue mich vor allem über den schönen Nebeneffekt seltener krank zu werden – so ist zumindest mein persönlicher Eindruck und der vieler anderer Eisfreunde. Immun gegen Viren bin ich natürlich trotzdem nicht. Wenn mein Sohn etwas aus der Kita anschleppt, rafft es mich durchaus auch mal nieder, aber meist nur recht kurz. Neben den Glückshormonen und dem Immun-Booster bekomme ich manchmal auch einen Hauch Anerkennung – noch öfter jedoch einen Vogel gezeigt. Ist der Ruf erst ruiniert …
Für mich ist Eisbaden eine Art Marathon des Schwimmens und fester Bestandteil in der kalten Jahreszeit geworden. Aber neben dem Willen ist auch das entsprechende Training dafür nötig. Einen Marathon bestreitet man eben nicht mal eben so ohne Vorbereitung.
Das richtige Eistraining á la Wim Hof
Aber Eisbäder sind für alle was, nicht nur für Marathonis oder Schwimmer, sagt Wim Hof. Der Niederländer ist bekannt als der „Iceman“ und bricht alle Kälterekorde, läuft barfuß und nur in kurzer Hose einen Halbmarathon bei -30 Grad, steht Stunden lang in einem Kubus voller Eiswürfel und hat mir im Interview erzählt, dass wir unser Leben zu einfach gemacht haben. „Die Technologie und unser alltäglicher Komfort schaffen alle Herausforderungen für unseren Körper ab. Heizungen, zu wenig Bewegung, Stress und ständig warme Klamotten führen zu einer Verweichlichung unseres Körpers.“ Er sagt: „Unser Immunsystem hat verlernt, zu arbeiten. So entstehen Depressionen, Krebs und Autoimmunerkrankungen“. Für ihn ist Kälte eine Kraft, die uns Menschen so tief zu uns selbst bringt wie nichts anderes. Und jeder kann sie trainieren, sagt Wim: „Schon eine kurze, kalte Dusche aktiviert die volle Funktionalität des Körpers. In der Medizin werden lieber Therapien und Tabletten verschrieben, weil es mehr Geld bringt. Aber Gesundheit kostet nichts.“
Wim Hof rät, die ersten Male nur ein paar Sekunden zum Abschluss kalt zu duschen, um einen Reiz zu setzen und das Herz-Kreislauf-System zu trainieren. Dann steigert man sich auf 30, 45 und 60 Sekunden. Nach zwei Wochen kann man erste Versuche draußen im Wasser starten. Wer damit schon im Sommer startet, hat es leichter.
Kein Wettbewerb
Mein Tipp: danach nicht abtrocknen – das ist ein super Heimtraining in Sachen Frieren. Wer einen See oder Fluss in der Nähe hat, geht im Herbst einfach weiter darin schwimmen. Mit sinkenden Temperaturen die Schwimmzeit anpassen. Im ersten Winter dann nicht schwimmen, sondern erst mal nur Eisbaden – also für ein, zwei Minuten langsam rein ins Wasser, kontrolliert atmen und dann wieder raus. So konnte ich in der Saison 2021/2022 ein liebevolles Verhältnis zur Kälte entwickeln. Aber auch jetzt im Winter könnt ihr damit anfangen – am besten sprecht ihr kurz mit einem Arzt darüber und dann kann es losgehen. Kurz und knackig, immer mit einer Begleitperson am Ufer oder neben der Tonne und im Freiwasser am besten immer mit Boje und natürlich mit obligatorischer Mütze (ist nur für den Style) …
Eisbaden ist im Gegensatz zum Eisschwimmen auf Zeit kein Wettbewerb. Es geht nicht darum, wer länger in noch kälterem Wasser bleiben kann. Es geht um unsere Gesundheit und ein gutes Gefühl. So können wir auch lernen, das Zittern danach als schön zu empfinden. Denn das gehört dazu: Die Muskeln bewegen sich, um Wärme zu erzeugen. Und wenn dann nach und nach die Füße und Hände wieder auftauen, spreche ich gerne vom Eukalyptus-Effekt – die Haut ist kalt und warm gleichzeitig und ich fühle mich wie neu geboren. Mein Herz klopft und mein Gesicht lächelt. Früher habe ich Kälte gehasst. Jetzt kann ich nicht mehr ohne sie.
TIPPS FÜR ANFÄNGER
Gehe niemals alleine ins kalte Wasser. Nimm eine Boje mit. Bleib im Stehbereich. Gehe langsam aber zielstrebig hinein. Springe niemals, schon gar nicht mit dem Kopf voran. Atme ruhig und tief. Lasse die Hände anfangs außerhalb des Wassers. Fürs Kraulen anfangs zwei Badekappen tragen. Wer mag, kann das erste Jahr im Neoprenanzug üben. Hinterher: warmer Pulli, Mütze, dicke Socken, warmes Getränk.
Als Ausdauerathletin mit Hang für besondere Herausforderungen bloggt Anita auf SWIM.DE über ihre Erlebnisse im eisigen Wasser. Auf Anitas Website könnt ihr euch zum Newsletter anmelden. Hier geht es zu ihrem Instagram-Account.