Samstag, 27. April 2024

„Das Thema Pflichtzeiten ist sehr komplex“ | Masters-Chefin Urbaniak will das Miteinander fördern

Viele Masters waren geschockt von den zahlreichen Meldungen zur DM Kurzbahn in Hannover. Im Interview erklärt die Vorsitzende der Masterssparte im DSV, Ulrike Urbaniak, wie die Organisatoren von der Masse überrascht wurden und was sie von einer Verschärfung der Pflichtzeiten hält.

DSV-Masters Muss unterschiedliche Interessen vereinen: Ulrike Urbaniak.

Frau Urbaniak, die Kurzbahn-Meisterschaften in Hannover haben unter den Masters für Wirbel gesorgt. Die gute Orga wurde gelobt, Kritik gab es an der Rekordteilnehmerzahl von zunächst 1.559 Athleten. Die Zahl konnte durch die Möglichkeit, sich kurzfristig abzumelden, auf 1.493 reduziert werden konnte. Was war passiert? Wir lagen in Hannover gut 40 Prozent über den Meldezahlen der Vorjahre. Normalerweise haben wir um die 1.000 Teilnehmer. Mit dieser Menge an Meldungen konnten wir definitiv nicht rechnen.

Hannover ist gut erreichbar. War es da nicht absehbar, dass dort viele starten wollen? Wir machen das ja schon einige Jahre und die Zahlen lagen immer zwischen 800 und 1.000. In Essen und Hannover waren es vor Jahren auch schon mal 1.200. Natürlich gibt es mehr Meldungen, wenn der Austragungsort zentral liegt. Ein Jahr zuvor in Rostock und davor in Freiburg waren es deutlich weniger als 1.000. Ich sage es noch mal: Wir wurden den vielen Meldungen überrascht. Hätten wir das im Vorfeld geahnt, hätten wir sicher an der einen oder anderen Stellschraube gedreht.

Auf diese Stellschrauben möchte ich gleich zu sprechen kommen. Zunächst: Wie viele Athletinnen und Athleten wären Ihrer Meinung nach optimal? Das hängt von den Möglichkeiten des Ausrichters ab. Das Stadionbad in Hannover ist die zweitgrößte Halle nach Berlin und für 1.000 Menschen zugelassen. Das war unser erstes großes Glück. Ein Glück war auch, dass wir mit der SGS Hannover einen sehr erfahrenen Ausrichter hatten. Die hatten schon zweimal die deutschen Kurzbahnmeisterschaften ausgerichtet und organisieren jedes Jahr das große Piranha-Schwimmfest. Die wissen, wie man mit Massen umgeht.

Ulrike Urbaniak
Als Vorsitzende der Masterssparte vertritt Ulrike Urbaniak die Interessen Tausender Altersklassenschwimmer im Deutschen Schwimmer-Verband. In Japan wurde sie 2023 Masters-Weltmeisterin über 100 und 200 Meter Brust in der Altersklasse 70-74. Urbaniak schwimmt für die TG Schötmar.

Den Eindruck können wir bestätigen. Die Hannoveraner haben einen starken Job gemacht und die Menge an Teilnehmern sehr unaufgeregt verarbeitet. Trotz teilweise 30 oder 40 Läufen über 100 und 200 Meter verlief der Wettkampf schneller als gedacht. Wir haben es sogar geschafft, immer wieder fünf oder zehn Minuten auf den engen Zeitplan rauszuholen. Aus meiner Sicht verliefen die Meisterschaften tatsächlich relativ reibungslos. Bis auf die defekte Anzeigetafel, die sich in der Kürze der Zeit nicht mehr reparieren ließ, und den Samstag, als wir den Wettkampf kurz unterbrechen mussten, weil zu viele Menschen in der Halle waren. Leider war dieses Problem mit Goodwill allein nicht zu lösen. Ich bin am Nachmittag in das Zelt vor der Halle und habe mich bei allen bedankt, die dort saßen. Das waren echte Team-Player. Die haben für Platz in der Halle gesorgt und damit im Sinne des Masterssports agiert. Leider sind einige dringeblieben, obwohl sie dort nichts mehr zu tun hatten, und es hatten sich auch Trainer eingeschlichen. Wir konnten in dieser Situation nur an die Sportler appellieren, solidarisch zu sein.

DSV-Masters Ulrike Urbaniak (2. v. r.) bei der DKMM in Hannover.

Welche Probleme bereiteten die vielen Athleten bei der Organisation? Der Ausrichter hatte wegen der hohen Meldezahl noch eine Anfrage der Stadt zur Gewährleistung der Sicherheit. Das heißt: Eine Woche vor der Veranstaltung musste noch ein Sicherheitskonzept erstellt werden. Bei der Erstellung kamen dann das beheizte Zelt vor der Halle und das Zählsystem am Eingang heraus. Beides muss natürlich bezahlt werden. Das sage ich nur, weil es immer Behauptungen gibt, wir würden uns an einer Meisterschaft dumm und dämlich verdienen. Ein Zelt im Winter zu heizen, kostet viel Geld, dazu kommen die elektronische Zeitnahme und das doppelte Kampfgericht, das wir eingesetzt haben, um es schneller zu machen. Das sind Kosten, die oben auf die geplanten Kosten draufkommen. Das soll nicht heißen, dass wir mit dem Wettkampf nicht auch etwas verdienen würden. Als Abteilung Masters sind wir auf diese Einnahmen angewiesen. Wir finanzieren damit andere Veranstaltungen und Disziplinen, etwa im Wasserball, Springen und Synchronschwimmen, und die Sitzungen der Masterssparte quer.  

Die Startgebühren ergaben in der Summe mehr als 90.000 Euro. Davon dürften trotz Kosten ein paar Euro übrig bleiben. Was passiert mit dem Geld? Die Hälfte bekommt der Ausrichter, die andere Hälfte der DSV. Der Verband bezahlt davon etwa die Anreise, die Übernachtungen und das Honorar für die Kampfrichter. Dazu kommen die Medaillen, von denen wir bei den Masters eine ganze Menge brauchen. Der Ausrichter übernimmt unter anderem die Hallengebühr, die Protokollerstellung, die Verpflegung der Kampfrichter und in diesem Fall das Wärmezelt und das elektronische Erfassungssystem der Besucher. Es kommt ein Überschuss heraus, sonst würden wir wahrscheinlich gar keine Ausrichter mehr finden. 

Sind die Ausrichter mit diesem Deal zufrieden? Ich höre manchmal, allerdings nicht von den Ausrichtern selbst, wir würden die Ausrichter übervorteilen. Das sehe ich nicht so. Im Gegenteil. Die meisten Ausrichter sind dankbar und freuen sich über die Einnahmen und vor allem das Ansehen ihres Vereins, das sie gegenüber der Stadt gewinnen. Man muss allerdings sagen, dass die finanziellen Möglichkeiten in Hannover leider begrenzt waren. Normalerweise verdienen sich die Vereine beim Kuchenverkauf etwas dazu. Das Geld fließt dann zum Beispiel in die Jugendarbeit. In Hannover war das wegen der verpachteten Cafeteria nicht möglich. Dort durfte von Vereinsseite nichts zu essen und zu trinken angeboten werden. 

Wie wichtig ist es, mit einem guten finanziellen Plus aus der Meisterschaft herauszukommen? Wie gesagt, müssen wir andere Aufgaben der Abteilung mitfinanzieren. Früher gab es auch Geld vom DSV, heute nicht mehr und die Abteilung finanziert alles selbst. Um zu sparen, trifft sich die Abteilung seit Jahren fast nur noch Online. Von Zeit zu Zeit müssen wir uns aber auch mal persönlich treffen und in die Augen sehen, um unsere Teamfähigkeit zu stärken.

DSV-Masters

Die Einnahmen hängen mit der Teilnehmerzahl zusammen. Mehr Athleten bedeuten mehr Geld. Möchten Sie einen großen Wettkampf oder soll der Wettbewerb bei einer Meisterschaft im Mittelpunkt stehen? Wir möchten einen großen Wettkampf, der aber gut durchführbar ist. Wie viele Teilnehmer dabei sein können, hängt von der Hallengröße und der Art der Veranstaltung ab. In Hannover hatten wir Platz für etwa 1.000 Menschen inklusive Kampfrichter und Helfer. Wenn wir davon ausgehen, dass nicht immer alle Athleten gleichzeitig in der Halle sind, wäre 1.200 eine Zahl gewesen, über die ich mich gefreut hätte. Bei einer DMM Lange Strecken liegen die Teilnehmerzahlen deutlich darunter.

Es sind nicht viele Städte, die die DMM Kurzbahn ausrichten. Woran liegt das? Das sind Berlin, Hannover, Bremen und Freiburg. In Essen sind die Ausrichter sehr erfahren, aber es ist trotzdem schwierig in dem neuen, aber kleinen Bad. Wuppertal wäre noch möglich, aber dort kommen wir nur schwer rein, weil das Bad häufig von anderen Veranstaltungen belegt wird. Frankfurt würde sich als zentraler Ort anbieten, wenn es dort ein passendes Bad gäbe. Im Norden ist es in Hamburg und Bremen schwierig. Ein Hallenbad mit acht Bahnen reicht leider nicht, wenn um das Becken nur drei Meter Platz ist. Bei Bädern, die sich mit einer Brücke teilen lassen, kommt das Problem hinzu, dass Bahnlängen jedes Mal neu vermessen werden müssen. 

Besonders voll war es in Hannover bei den jüngsten Altersklassen. Die AK 20-24 verbuchte rund 1.500 Starts und damit fast ein Drittel aller Einzelstarts. Warum gibt es diese Altersklasse in Deutschland, während international erst ab 25 geschwommen wird? Wir möchten den jungen Schwimmern einen Anreiz geben, Wettkämpfe zu schwimmen, damit sie nicht in ein „Loch“ fallen, wenn die Meisterschaften nicht mehr jahrgangsweise angeboten werden. Diese Aktiven starten sonst jahrelang in der offenen Klasse und das kann sehr frustrierend sein, wenn man nicht mehr zu den 30 Besten gehört. Bei der Einführung der AK20 in Deutschland wurden die Masters von vielen jungen Aktiven noch sehr abschätzig betrachtet, was vielleicht an der Bezeichnung „Senioren“ lag. Es gab nur wenig Meldungen. Das hat sich geändert. 

Woran könnte das liegen? Viele haben erkannt, dass die Masters ein attraktives Angebot mit spannenden Wettkämpfen machen, bei dem man nicht automatisch gewinnt, wenn man antritt. Dazu trifft man Freunde, mit denen man früher geschwommen ist. Ich höre von vielen Jungen, die es toll finden, weiter Wettkämpfe zu schwimmen, und ich glaube, davon könnten alle profitieren. Wenn von diesen Schwimmern nur zehn Prozent bis zur AK 70 weitermachen, können wir uns riesig freuen. 

Breiten- und Wettkampfsport bis ins hohe Alter ist ein gesellschaftlicher Trend. Das zeigt sich in vielen Sportarten. Diesen Eindruck haben wir auch. Wir müssen beim Schwimmen nur aufpassen, dass uns die Älteren nicht wegbrechen durch die Übermacht der Jüngeren. Da suchen viele Ältere einen ruhigen Platz in der Halle, um sich zu unterhalten, und jetzt kommen ganz viele Junge dazu, die manchmal laute Musik hören und ständig am Handy sind. Ich höre von Älteren, dass sie sich verdrängt fühlen. Da müssen wir gegensteuern. Uns geht es um das Miteinander.

Mastersschwimmer diskutieren gerne. Unter anderem darüber, wie die Teilnehmerzahl bei der DM Kurzbahn eingedämmt werden könnte. Gehen wir einige Möglichkeiten durch. Die naheliegende Lösung wäre, die Pflichtzeiten anspruchsvoller zu machen. Wir werden die Pflichtzeiten in der AK 20 zum nächsten Jahr hochsetzen. Aber nicht so, dass es nur noch einen Lauf gibt. Das wollen wir nicht. Wir möchten den Jungen ja zeigen, wie toll es bei den Masters ist, und dass sie bei uns willkommen sind. Wo wir mit den Zeiten genau landen, wissen wir noch nicht. Aber klar, die Pflichtzeiten sind der wichtigste Schlüssel. 

Mit SWIM+ liest du, was Ulrike Urbaniak davon hält, die Teilnehmerzahl über die Bestenliste in Grenzen zu halten, und wie Pflichtzeiten überhaupt zustande kommen.

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Peter Jacob
Peter Jacob
Mit sechs hieß es für den kleinen Peter schwimmen lernen - falls er mal ins Wasser fällt. Inzwischen ist er groß und schwimmt immer noch jede Woche. Mal mehr, mal weniger, meistens drinnen und manchmal draußen. Und immer mit viel Spaß und Leidenschaft.

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