So unterschiedlich die Sportarten und Sportler auch sind, so ähnlich sind sich ihre Ernährungsstrategien vor dem Wettkampf: Freiwasserschwimmer, Triathleten und Bodybuilder versuchen gleichermaßen, so viele Kohlenhydrate wie möglich in ihren Zellen einzulagern. Der Bodybuilder, weil jedes Gramm der Kohlenhydrat-Speicherform Glykogen drei Gramm Wasser bindet und die Muskeln fülliger aussehen lässt. Der Freiwasserschwimmer und Triathlet, weil jedes Gramm Glykogen rund vier Kilokalorien Energie enthält, die später im Wettkampf zur Verfügung stehen.
Die Kapazitäten sind begrenzt
Zwar wird ein großer Teil der Energie bei gut trainierten Athleten aus Fetten bereitgestellt, doch scheinen diese Reserven selbst bei mageren Ausdauersportlern schier unerschöpflich, so dass eine zusätzliche Zufuhr vor und während der Belastung nicht notwendig ist. Anders ist das bei den Kohlenhydraten, die der Körper nur im begrenzten Maße speichern kann und die auch im Fettstoffwechsel eine Rolle spielen: „Fette verbrennen im Feuer der Kohlenhydrate“ lautet ein Leitsatz der Sporternährung, der sich auch biochemisch begründen lässt. Doch die Zufuhrmöglichkeiten während einer Ausdauerbelastung sind begrenzt, da der Körper die Durchblutung und Tätigkeit des Verdauungstrakts während des Sports reduziert und sich auf die Versorgung von Nerven- und Muskelsystem konzentriert. Daher ist das Ziel der Vorwettkampfernährung, möglichst viele Kohlenhydrate mit an die Startlinie zu bringen.
Während die Fettspeicher nahezu unbegrenzt sind, reichen die Kohlenhydratvorräte des Sportlers nur für eine Belastungsdauer von rund 90 Minuten aus, wobei die Geschwindigkeit, der Trainingszustand, die Konstitution des Athleten und andere Faktoren einen großen Einfluss auf diese Zeitdauer ausüben. Kohlenhydrate werden im menschlichen Körper in der Form des Glykogens gespeichert, einem verzweigten Molekül aus einer Vielzahl von Glukosebausteinen (Glukose = Traubenzucker). Die Muskulatur des Menschen besteht zu einem bis zwei Prozent aus Glykogen, die Leber bis zu zehn Prozent. Da der Mensch aber mehr Muskelals Lebermasse hat, ist die Muskulatur der größere Speicher: 400 Gramm des „Supertreibstoffs“ kann der trainierte Athlet in seinen Muskelzellen speichern, 100 weitere in der Leber. Ein halbes Kilogramm Glykogen beinhaltet immerhin 2.000 Kilokalorien – genug für einen halben Marathon, den ein 70-Kilogramm-Athlet bei einem Tempo von vier Minuten pro Kilometer läuft.
Die Kohlenhydrate, die wir mit unserer Ernährung zu uns nehmen, werden durch Spaltungsenzyme (die sogenannten Amylasen) im Magen-Darm-Trakt in Einzelbausteine zerlegt. An den Speicherorten werden diese Einzelzucker wieder zu Netzwerken verflochten. Wenn die Speicher voll sind, werden überschüssige Kohlenhydrate zu Fett umgewandelt. Schwedische Forscher fanden 1967 zum ersten Mal heraus, dass die gezielte Zufuhr von Kohlenhydraten vor dem Wettkampf die Ausdauerleistungsfähigkeit steigern kann. Zahlreiche Studien haben diese Strategie verfeinert, die wichtigsten Erkenntnisse fassen wir im Folgenden zusammen.
Aus leer mach voll
Eine wichtige Grundlage für die bestmögliche Füllung der Glykogenspeicher in der Muskulatur beruht auf dem Prinzip der Superkompensation, das für verschiedenste Mechanismen in der Physiologie des Menschen erkannt wurde: Wenn ein System mit einem starken Reiz belastet wird, dann erholt es sich in der nachfolgenden Belastungspause vorübergehend auf ein höheres Niveau als zuvor. Für die Glykogenspeicher bedeutet das: Sie können mehr Glykogen einlagern, wenn Sie die Vorräte zuvor entleeren.
Fünf Tage Vorlauf
Das höchste Speicherniveau im Rahmen dieser Superkompensation erreichen Sie drei Tage nach der letzten Trainingseinheit. Wenn Sie die letzten Tage bis zum Wettkampf nur noch mit kleinen Umfängen und Intensitäten trainieren, können Sie dieses Speicherniveau drei weitere Tage lang halten. Der ideale Zeitpunkt für die harten Belastungen ist damit am Montag und Dienstag, wenn am folgenden Sonntag Ihr Wettkampftag ist.
Nach einer Phase von 24 Stunden, in der Sie sich kohlenhydratarm ernährt haben, legen Sie zum beispiel als Triathlet am Montagabend zunächst eine harte Schwimmeinheit von 60 bis 90 Minuten ein und ernähren sich anschließend kohlenhydratarm und eiweißreich (zum Beispiel Fisch mit Quark). Am Dienstagmorgen folgt eine zweite harte Einheit auf dem Rad von maximal 90 Minuten, bei der Sie gegen Ende ein Versiegen Ihrer Energiereserven spüren sollten – während der Belastung nehmen Sie selbstverständlich weiterhin keine Kohlenhydrate auf, für Flüssigkeitsersatz sollten Sie allerdings sorgen. Die Belastung sollte an der aerob-anaeroben Schwelle liegen. Auch danach ernähren Sie sich bis zur letzten harten Einheit weiterhin kohlenhydratarm. Am Dienstagmittag oder unmittelbar nach Feierabend erfolgt die dritte und krönende Einheit: Laufen Sie 45 Minuten mit steigender Geschwindigkeit und absolvieren Sie danach noch zwei oder drei harte 1.000-Meter-Läufe, bis Sie feststellen: Jetzt geht gar nichts mehr!
Das Coach-Potato-Prinzip
Unmittelbar nach dieser Trainingseinheit beginnen Sie mit dem angenehmen Teil der Vorbereitung: der intensiven Kohlenhydratzufuhr nach dem Couch-Potato-Prinzip („Carbo Loading“). Viel Erholung und eine gute Kohlenhydratversorgung lassen Ihre Form stündlich steigern. Die Kohlenhydrataufnahme unmittelbar nach der letzten Trainingseinheit realisieren Sie am besten mit zuckerhaltigen Sportgetränken und Energieriegeln, später folgen Nudeln, Reis, Kartoffeln oder Müsli. Studien haben gezeigt, dass eine Aufnahme von 25 Gramm Kohlenhydraten pro Stunde (600 Gramm in 24 Stunden) für das Auffüllen der Glykogenspeicher ideal ist. Höhere Dosierungen erzeugen keine verstärkte Wirkung, da die Kapazität der beteiligten Enzymsysteme begrenzt ist. Wenn Sie also alle drei Stunden 75 Gramm Kohlenhydrate zu sich nehmen (das entspricht etwa 100 Gramm Nudeln oder Reis beziehungsweise 500 Gramm Kartoffeln), stellen Sie sicher, dass für ausreichend Nachschub gesorgt ist.
Auch die Auswahl der Kohlenhydrate spielt eine Rolle: Die Speicheraufbaurate ist am höchsten bei einfachen Kohlenhydraten wie Glukose. Allerdings führt die vermehrte Zufuhr von Fruktose (Fruchtzucker) nur zu einer Einlagerung von Glykogen in die Leber, nicht aber in die Muskulatur, da das Enzym, das Fruktose in Glukose umbaut, hauptsächlich in der Leber arbeitet.
Die Risiken der Superkompensation liegen in der Gratwanderung zwischen Glykogenentleerung einerseits und Übersäuerung andererseits sowie in der Magenunverträglichkeit durch den schnellen Wechsel von Kohlenhydratverzicht (mit einhergehender übermäßiger Fett- und Eiweißaufnahme) und Kohlenhydrat-Mast. Sie sollten einen solchen Ablauf daher unbedingt vor einem weniger wichtigen Wettkampf ausprobieren. Beachten Sie auch, dass Sie bei maximaler Glykogeneinlagerung in den letzten Tagen vor dem Wettkampf durch das eingebundene Wasser bis zwei Kilogramm zunehmen können.