Dienstag, 10. Dezember 2024

„Die wichtigsten Tage sind die, an denen es schwerfällt“

Marius Kusch, du trainierst in San Diego. Was sind für dich die größten Unterschiede zwischen dem Training in Deutschland und den USA? Die größten Unterschiede liegen darin, dass nicht so ein großer Wert auf die Gesamtkilometerzahl gelegt wird. Oft ist es in Deutschland ein großer Faktor, wie viel geschwommen wird. In der amerikanischen Mentalität ist das nicht so wichtig. Es geht viel mehr um die Inhalte. Das Training ist geprägt von sehr hohen Intensitäten, also durch wettkampfähnliche Geschwindigkeiten. Dieser Anteil im Training ist viel höher als Zuhause.

Was bedeutet das für dein Training? Ich schwimme manchmal im Training zwischen dreieinhalb und vier Kilometer, wofür ich aber auch zwei Stunden oder länger brauche. Außerdem schwimmen wir einen sehr hohen Technikanteil. Es gibt keine Serien, in denen ich leere Meter schwimme. Wenn wir mit einer schlechten Technik schwimmen, werden wir direkt darauf angesprochen.

Also würdest du sagen, dass das Training von der Strecke her kürzer, aber dafür intensiver ist? Genau. Ich finde, bei dem Training, das wir hier machen, muss man mental die ganze Zeit da sein. Man muss konzentriert sein. Es gibt keine Serien, bei denen man sich abstößt und dann etwas chillen und sich ausruhen kann. Alles, was wir machen, hat eine hohe Intensität, sehr hohe Qualität und da kann man nicht zum Training kommen und den Kopf halb ausgeschaltet haben, das funktioniert bei uns nicht.

Vermisst du solche lockeren Serien? Definitiv nicht, nein.

Worauf freust du dich dann nach einem anstrengenden Training am meisten? Ich muss im Erholungsbereich mehr arbeiten. Durch das intensive Training ist manchmal die Verletzungsgefahr etwas höher. Aber ich glaube, nach einem harten Tag ist jeder Sportler froh, wenn er nach Hause geht und auf der Couch liegen kann. Was ich gerne mache, wenn ich noch die Kraft dazu habe: Ich gehe gerne zum Strand und schaue mir abends den Sonnenuntergang an, das ist immer sehr erholsam. Aber sonst, wie jeder andere Sportler auf dieser Welt auch: einfach ausruhen und nicht mehr viel bewegen.

LEN Marius Kusch gewinnt bei der Kurzbahn-EM 2019 in Glasgow Gold über 100 m Schmetterling.

Was erwartest du von den Olympischen Spielen für dich persönlich? Das sind meine ersten Olympischen Spiele. Ich bin auf jeden Fall gespannt, wie das wird. Ich weiß natürlich auch, dass das dieses Jahr alles in einer abgespeckten Variante stattfinden wird. Trotzdem benutze ich das natürlich nicht, um den Kopf in den Sand zu stecken, sondern ich freue mich darauf.

Wie bereitest du dich auf die Spiele vor? Ich bleibe weitestgehend in den USA. Aktuell ist es schwierig einzureisen. Nach dem Olympiaqualifikationswettkampf, den wir jetzt in Berlin hatten, musste ich drei Wochen auf mein Visum warten. Das muss aktuell vom DOSB beantragt und beim Amerikanischen Olympischen Committee angefragt werden. Von denen brauche ich dann einen Brief und das Okay, dass ich einreisen darf. Das dauert sehr lange und ist gerade jetzt, wo wir nicht mehr so viel Zeit haben, nicht toll, wenn man da jedes Mal durch muss. Deswegen werde ich jetzt in Amerika bleiben und meine Vorbereitungen hier durchziehen.

Wie sehen deine weiteren Vorbereitungen aus? Ich weiß, dass ich sicher qualifiziert bin. Die nächsten Wochen werden richtig angezogen, da werden wir nochmal hart arbeiten. Die Serien sind dann nicht mehr ganz so zermürbend wie noch im Zyklus davor. Alles wird etwas spezifischer mit großem Fokus auf Details. Die nächsten Wochen werden auf jeden Fall knackig.

Zur Olympiaqualifikation wurde die Norm, die du schon im März 2020 unterboten hast, als Qualifikation vor der zweiten Phase übernommen. Wie erleichternd war das für dich? Das war auf jeden Fall ein sehr schönes Gefühl. Wir wussten natürlich nicht, was 2020 passiert, aber wir haben bewusst zu Beginn des Qualifikationszeitraums einen der ersten Wettkämpfe gewählt, damit wir, wenn ich es schaffe, die Gewissheit haben. Und es war auf jeden Fall sehr erleichternd. Das kann einem helfen, das kann aber auch eine Gefahr sein, weil man dann weiß, dass man qualifiziert ist und nicht mehr so hart arbeitet. Ich habe mich davon nicht beeinflussen lassen, aber es gibt auch Leute, die sich darauf ausruhen. Das hat uns unser Trainer bewusst gemacht und hat uns auch nicht so trainiert.

Ich möchte bis zu den Olympischen Spielen in Paris weiter schwimmen und dann einmal eine komplett normale Erfahrung sammeln, wenn sich mit Corona alles gelegt hat.

Marius Kusch

Habt ihr eine mentale Unterstützung bekommen, als Olympia verschoben wurde und alles in der Schwebe war? Ich arbeite nicht mit einem Mentaltrainer zusammen, ich habe meine eigenen Tricks und bei mir war eigentlich alles in Ordnung. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich nicht mehr motiviert bin und alles schwer ist. Da hat auch unser Trainerteam einen sehr großen Anteil daran, weil wir die Möglichkeit hatten, ein bisschen zu schwimmen und zu improvisieren. Die mentale Unterstützung kam wirklich vom Trainerteam, das uns da immer wieder bewusst gemacht hat, dass wir uns weiterhin so auf die Spiele vorbereiten als würden sie stattfinden. Deswegen hatte ich auch keine längeren Phasen, in denen ich mal einen Hänger hatte.

Wie hat sich dein Trainingsalltag im letzten Jahr verändert, wie kann man sich die improvisierten Trainingsmöglichkeiten vorstellen? Unser Trainer kennt jemanden, der ein kleines Schwimmbecken im Garten hat und wir konnten da dann zweimal in der Woche 45 Minuten Trainingseinheiten machen. Da hatten wir dann immer einen Partner und unser Trainerteam hat die erste Einheit morgens angeboten und dann die ganze Gruppe nacheinander durchgeschleust. Aber für uns waren das immerhin Einheiten, die wir machen konnten. Und dann mussten wir immer aufgewärmt erscheinen, da gab es kein Einschwimmen und Ausschwimmen. Man kam an, war aufgewärmt und dann waren das 45 Minuten volle Power.

Ist auf jeden Fall ein gutes Konzept, um Kontakte zu minimieren … Auf jeden Fall. Und wir haben den großen Vorteil, dass wir den Ozean vor der Tür haben. Ich bin dann sehr sehr viel Surfen gegangen. Das ist ein gutes Crosstraining, ersetzt aber natürlich nicht das Schwimmen. Aber sich einfach im Wasser aufzuhalten, hilft auch schon deutlich.

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Wenn ihr den Ozean direkt vor der Tür habt, waren dann auch ein paar Freiwasser-Einheiten eine Alternative? Nein, das eher nicht. Das war auch nicht wirklich wichtig für mich. Das haben ein paar von unseren Mittelstrecklern gemacht. Die Leute, die eher in Richtung 400 m Lagen gehen. Aber für uns Sprinter nicht. Wir sind dann eher surfen gegangen. Da hat man ja auch diese kleinen schnellen Antritte, um auf die Welle draufzukommen, das ist ein bisschen ähnlicher zum Sprinten. Oder zum Beispiel Body Surfen. Da hat man eine gute Kontrolle, weiß wie man sich im Wasser verhalten muss und wie man seinen Körper in welcher Position bewegen muss, um auf der Welle zu bleiben und sich nicht abzubremsen. Das ist dann ähnlich zum Schwimmen. Es geht ja darum, den Widerstand zu minimieren und das merkt man in solchen Situationen.

Gab es denn auch Tage, an denen du dich nur schwer zum Training motivieren konntest? Ich glaube, die hat jeder, egal ob in Bezug aufs Training oder in Bezug auf den Job. Aber wir arbeiten hart für unser Ziel, für die Olympischen Spiele. Selbst an schwierigen Tagen gehe ich zum Training. Die wichtigsten Tage sind die, an denen es schwerfällt. Das sind auch die Tage, an denen man eigentlich die meisten Fortschritte und den größten Erfolg mitnimmt. Wenn man es trotzdem geschafft hat, obwohl es schwer war. Man war vielleicht müde oder hatte Muskelkater aber man hat sich trotzdem durchgepustet und oft ist man dann auch am Ende des Tages überrascht, dass man Leistungen bringt, die besser sind als an Tagen, an denen man sich gut fühlt.

Hast du ein bestimmtes Ritual, das für dich am Wettkampftag dazugehört? Eigentlich nicht. Ich habe mein Aufwärmprogramm, das ich immer durchziehe. Ich bin eigentlich jemand, der konstant versucht, Sachen anzupassen und zu optimieren. Deswegen habe ich eigentlich nie denselben Ablauf, das kommt immer darauf an, wie ich mich fühle. Wenn ich zum Beispiel merke, dass meine Beine schwer sind, muss ich meine Beine mehr aufwärmen.

Worauf freust du dich bei den Olympischen Spielen besonders? Ich hätte mir sehr gerne 100 und 200 Meter in der Leichtathletik angeschaut. Wir müssen aber 48 Stunden nach unserem letzten Start abreisen und wir sind auch zum Beispiel in der Mensa nicht mit allen Sportlern zusammen, sondern nur mit den Schwimmern. Insofern gibt es da natürlich Einschränkungen zu den Spielen, wie sie sonst gewesen wären. Deswegen möchte ich nicht nach den Spielen im Sommer aufhören, sondern bis zu den Olympischen Spielen in Paris weiter schwimmen und dann einmal eine komplett normale Erfahrung sammeln, wenn sich mit Corona alles gelegt hat. Aber ich fahre dahin und ich freue mich unglaublich auf die Wettkämpfe und da zu schwimmen.

MIKE LEWIS / ISL Marius Kusch startet in der ISL für das Team London Roar.

Wie sehen denn deine Pläne direkt nach Olympia aus? Die International Swimming League fängt relativ zeitnah nach Olympia wieder an, da werde ich auf jeden Fall wieder mitmachen. Deswegen werde ich nach den Spielen keine lange Pause machen. Der finanzielle Aspekt ist hier sehr hart, ich muss mich fast komplett selbst finanzieren. Wir haben die Sporthilfe, die uns unterstützt, darüber bin ich sehr dankbar aber der Rest kommt aus meiner eigenen Tasche. Deswegen ist sowas wie die ISL eine sehr große finanzielle Unterstützung. Die bekommt man aber nicht, wenn man langsam schwimmt. Deswegen werde ich mich nach den Olympischen Spielen auf die ISL konzentrieren, dort Vollgas geben und meinen Urlaub danach machen. Und alles, was danach kommt, plane ich danach.

Kurzfragen

Über welche Strecke wärst du gerne besser? 50 Meter Kraul

Was würdest du machen, wenn du nicht schwimmen würdest? Arbeiten

Dein Ausrüster: Ich habe leider keinen

Dein Heimatverein: SG Essen

Marius Kusch, danke für das Gespräch.

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Jule Radeck
Jule Radeck
Jule Radeck studierte Sportwissenschaften, bevor sie als Volontärin nach Hamburg zog. In ihrer Freizeit findet man sie oft im Schwimmbecken, manchmal auf dem Fahrrad und selten beim Laufen.

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