Donnerstag, 7. November 2024

Eisschwimmen | Einmal frieren und zurück, bitte!

Winterzeit ist Badezeit! Während viele mit Wintermantel und Mütze das Haus verlassen und trotzdem frieren, schlüpfen andere in ihre Badeklamotten und hüpfen freiwillig ins kalte Wasser – egal ob in den See, einen Fluss oder die Eistonne. Das Gute ist: Eisschwimmen kostet nichts. Außer Überwindung.

Unter fünf Grad zeigt meine Uhr an, sowohl im Wasser, als auch an der Luft. Ich gehe Schritt für Schritt tiefer in die Agger, entschlossen und ohne zu zögern. Denn je länger man sich Zeit lässt, desto schwieriger wird es. Meine Haut und die Muskeln ziehen sich instinktiv zusammen. Aber mit jeder Sekunde länger erinnern sie sich daran, dass sie die Kälte mittlerweile mögen. Früher war das anders. Ich habe Kälte gehasst. An kaltes Wasser war gar nicht zu denken. Jetzt kann ich nicht mehr ohne. Ich ziehe eine dicke Badekappe über die Ohren, setze die Schwimmbrille auf, knipse die Boje zu und tauche komplett ein. Kraule Zug um Zug und bin glücklich.

Eischwimmen vs. Eisbaden

Von Eisschwimmen spricht man bei einer Wassertemperatur von unter fünf Grad Celsius und wenn man wirklich schwimmt. Ist das Wasser wärmer, heißt es Winterschwimmen. Man legt dann kraulend oder mit Brustschwimmen Strecke zurück. Wer auf einer Stelle bleibt, der ist beim Eis- oder Winterbaden. Dieses kurze Dippen ist perfekt für den Einstieg. Erst wenn man wirklich ans kalte Wasser gewöhnt ist und das Herz-Kreislauf-System die Belastung kennt, dann kann man auch den Kopf mit ins Eiswasser nehmen. Mir tun dabei übrigens am ehesten die Zähne weh. Ansonsten ist es vor allem eine wahre Erfrischungskur und besser als jeder Kaffee am Morgen.

Der Kopf ist das Limit

Für mich ist Eisbaden eine Art Königsdisziplin des Schwimmens und fester Bestandteil meines Alltags geworden. Es ist ein forderndes Training für den Körper und den Kopf. Schon während man die Tasche zu Hause packt, kommen immer wieder störende Gedanken auf. „Das wird kalt…“ oder „Will ich wirklich?“ Aber sobald der Körper in die Kälte eintauche, gibt es nur noch das Hier und jetzt und nichts Schöneres.

Am Anfang reichen ein paar Sekunden „kennenlernen“ aus. Nach und nach kann man immer ein wenig länger im Wasser bleiben. Eine Faustregel besagt: pro ein Grad Wassertemperatur maximal eine Minute im Wasser. In meiner nun vierten Eisschwimmsaison habe ich meine Zeit allerdings ausgebaut und bleibe etwa doppelt so lange im Wasser.

Nach knapp zehn Minuten mache ich mich langsam wieder Richtung Ufer auf. Ich schlüpfe schnell aus den nassen Klamotten raus und in meine warmen Kuschelklamotten rein, gefütterte Gummistiefel an die Füße, Mütze auf, Zeit für Tee. Mit zitterigen Händen gieße ich mir für die innere Wärme einen heißen Salbeitee mit Kurkuma und Pfeffer in meinen Thermobecher und versuche ihn zu trinken, ohne zu viel zu verschütten.

Tipps fürs Eisbad

  • Gehe niemals alleine ins kalte Wasser.
  • Nimm eine Boje mit.
  • Bleib im Stehbereich.
  • Gehe langsam aber zielstrebig hinein.
  • Springe niemals, schon gar nicht mit dem Kopf voran.
  • Atme ruhig und tief.
  • Lasse die Hände anfangs außerhalb des Wassers.
  • Fürs Kraulen anfangs zwei Badekappen und Ohrstöpsel tragen.
  • Hinterher: warmer Pulli, Mütze, dicke Socken, Heißgetränk. Und bewegen: Tanzen. Hüpfen. Freuen.

Kann das gesund sein?

Spätestens jetzt reagieren andere oft skeptisch. Das kann doch nicht gut sein. Wenn du zitterst, dann warst du zu lange drin. Aber im Gegenteil. Der Körper ist meine eigene Heizung und wärmt sich durch kleinste Muskelbewegungen wieder auf. Er führt eine kurze Weile fast eine Art Eigenleben und sorgt dafür, dass ich in mir selbst ruhe. Bis mir wieder warm ist, tanze ich noch ein bisschen hin und her.

Professor Patrick Wahl von der Sporthochschule Köln sagt: „Winter- und Eisbaden kann einen positiven Effekt auf die Leistungs- und Regenerationsfähigkeit haben.“ Er leitet die Abteilung für Leistungsphysiologie und ist beim Deutschen Forschungszentrum für Leistungssport. Hier gehören Belastungsmanagement und Regeneration zu den großen Themen, um die geforscht wird – auch mit Hilfe von Kälteanwendungen wie Kältekammern und Eiswürfelbädern.

Die grundlegende Frage für Professor Wahl ist: Welchen Effekt kann eine Kälteanwendung auf Sportler haben? Und die Erkenntnisse sind spannend. Bei einem kalten Bad verengen sich die Gefäßwände und erweitern sich danach wieder – so können lokale Abbauprodukte schneller abtransportiert werden. Im Rahmen von Wettkämpfen und Turnieren, also bei mehrfacher Belastung innerhalb eines Tages oder mehrerer aufeinanderfolgender Tage, zeigen Eisbäder einen durchaus positiven Effekt auf die Leistungsfähigkeit und Regeneration der Athleten, denn Kälte unterbindet je nach Art und Länge der Anwendung entzündliche Prozesse in der Muskulatur.

Heißt, dass man im besten Falle Schmerzen (Muskelkater) vermeiden und schneller wieder leistungsfähig sein kann. „Aber gewisse entzündliche Prozesse gehören natürlich zu einer Anpassung des Körpers durch ein Training dazu und sollten nicht permanent unterbunden werden. Beim Kraftsport kann eine Kälteexposition sogar eher negativ sein“, so Professor Wahl.

Es gibt Eisschwimmer, die behaupten, dadurch nie wieder krank gewesen zu sein. Das kann ich nicht bestätigen. Eiswasser ist kein Schutzschild gegen Viren. Aber ich habe das Gefühl, dass ich schneller gesund werde und insgesamt weniger kränkle. In erster Linie bringt mich das Eisschwimmen aber gut durch den Winter. Mittlerweile freue ich mich, wenn der Sommer sich dem Ende neigt und der Winter losgeht. Ich freue mich, wenn das Wasser langsam kälter wird. Der Trick ist, nach dem Sommer einfach weiter im Freiwasser zu schwimmen. Dann hat man einen nahtlosen Übergang, die Schwimmzeit verkürzt sich ganz natürlich und ihr gewöhnt euch automatisch an das kalte Nass.

Wenn du im Oberbergischen Land oder in der Nähe wohnst, komm gerne zu meinem „Iceletic Wintertraining“: erst Functional Fitness an der frischen Luft, dann gemeinsam Eisbaden zum Abschluss. Start ist im Januar. Mehr Infos gibt es hier.

Aber auch wenn ihr jetzt im Winter starten wollt, ist das kein Problem. Hauptsache ihr fangt langsam an. Ich laufe fast immer barfuß oder mit Flip Flops rum – egal ob drinnen oder draußen. Ich brauche keine drei Pullis und überdicke Jacken mehr. Denn mein Kopf und mein Körper mögen die Kälte heute. Die meisten von uns haben den Umgang mit Kälte verlernt. Wir haben überall Heizungen – in der Bahn, im Büro und im Autositz. Wir tragen sämtlichen Kleidungsschutz, um bloß niemals auch nur ansatzweise zu frieren. Aber um gut zu frieren, braucht es auch hier Training. Kälte ist schön und der Körper kann damit umgehen.

Deshalb möchte ich den Menschen wieder nahebringen, sich mit Kälte zu konfrontieren. Das kann eine kalte Dusche sein. Oder eben ein Vollbad im Eiswasser. Je nachdem welche Motivation und gesundheitlichen Voraussetzungen du mitbringst, musst du diese Konfrontationskur nur gut auf deine individuelle Situation anpassen. Wichtig ist: Eisbaden ist keine Challenge. Kein Wettbewerb. Es geht nicht darum, wer länger in noch kälterem Wasser bleiben kann. Es geht um unsere Gesundheit und ein gutes Gefühl. So können wir auch lernen, das Zittern danach als schön zu empfinden. Und warm wird uns früher oder später garantiert auch wieder.

Über die Autorin

Das erste Mal Eisbaden war ich 2016 in Island. Ich stand am Fjordrand, bestaunte die Einheimischen, wie sie bei 11 Grad Wassertemperatur in Badeklamotten rüber zur anderen Uferseite und wieder zurückschwammen, 45 Minuten im Eiswasser, als wäre es ganz normal. Ich hingegen brauchte rund 15 Minuten, bis ich überhaupt einmal mit dem ganzen Körper im Wasser war. 

Danach war ich übrigens genauso kaputt wie nach einem Wettbewerb: wohlig müde, die Beine waren schlapp. Nach vieeeel Essen und einem Nickerchen war ich aber wieder zu gebrauchen und hatte ohne es zu wissen den Grundstein für meine Eiswasserliebe gelegt. 2021, als wegen Corona alle Schwimmbäder geschlossen waren und ich während meiner Schwangerschaft irgendwie ein Gefühl von Wasser haben wollte, habe ich mich das erste Mal in einen kalten See gewagt. Nur für ein paar Sekunden. Und dann mit jeder Woche und jedem Winter etwas mehr. Dieser Winter ist meine vierte Eisschwimmsaison und ich nehme das erste Mal auch an internationalen Eisschwimmwettbewerben teil. Mehr Infos findest du auf meiner Webseite und bei Instagram.

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Anita Horn
Anita Hornhttps://www.ahornzeit.de/iss-gut-jetzt-das-neue-buch-von-anita-horn/
Ich bin Sportlerin und Sportjournalistin und beschäftige mich auch viel mit dem Thema Ernährung. Im März 2024 erscheint mein Buch „IS(S) GUT JETZT!“ Auf meiner Website bekommt ihr alle Infos dazu und könnt euch zu meinem Newsletter anmelden.

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