Mittwochmorgen. Der 28. Juli 2021. 11:54 Uhr. Der Schwimmsport erlebt eine Premiere: Zum ersten Mal geht es bei den Frauen bei Olympia über 1.500 Meter um Gold, Silber und Bronze. Bisher war diese Strecke den Männern vorbehalten. Die dürfen dafür dieses Mal auch über 800 Meter antreten. Der Schwimmsport ist auch endlich erwachsen geworden. Acht Schwimmerinnen haben es bis hierher geschafft, in dieses erste olympische Finale über eine neue Königsdisziplin im Pool. Eine davon: Sarah Köhler aus Magdeburg.
Das Rennen läuft. Und es läuft natürlich an der Spitze über: Katie Ledecky. Die amerikanische Überschwimmerin hat die langen Strecken in den letzten Jahren nach Belieben dominiert. So auch heute.
Doch erwartungsgemäß findet das richtige Rennen hinter der 24-Jährigen vom Curl Burke Swim Club statt. Und da ist das Finale auf jeder Bahn spannend: Viele Positionswechsel, viel Abtasten. Und immer mit dabei: Sarah Köhler.
Das Rennen ist so spannend – kann man sich das als Coach mit ansehen, wenn man doch jetzt nicht mehr eingreifen kann? Man kann. Bernd Berkhahn muss sogar, er ist nicht nur Heimtrainer von Köhler, sondern auch Bundestrainer. Auch wenn er zwischendurch mal tief durchatmen muss.
Aber zurück zur Schwimmerin. Sarah Köhler bei der Arbeit zuzusehen, ist ein Genuss. Es ist abwechslungsreich: mal sieht es einfach aus, mal nach harter Arbeit.
Jeder Schwimmer weiß, wie lang diese 30 Bahnen werden können. Und wie man sich dabei manchmal auch wie der einsamste Mensch der Welt fühlt. Doch ganz allein ist Sarah Köhler hier ja nicht unterwegs. Zuschauer sind zwar verboten in den Stadion von „Tokyo 2020“. Mannschaftskollegen aber nicht. Und an das Anfeuerver- und Klatschgebot hält sich hier irgendwie niemand.
Wieder zurück zum Rennen: Katie Ledecky macht ihr Ding, die zweite Hälfte des Feldes sieht sie aus den Augenwinkeln nur noch als Gegenverkehr. So kennt man das.
Was man dagegen nicht kennt: Eine Deutsche schwimmt um eine Medaille. Sarah Köhler liegt lange auf Platz 4, macht dann Boden gut und schwimmt bis auf den zweiten Rang vor. Doch die Konkurrenz ist an diesem Morgen genauso wach wie die Magdeburgerin mit dem tätowierten Arm, auf dem steht: Jeder ist seines Glückes Schmied. Und heute schmiedet sich Köhler eine Medaille.
Das Finale: Ledecky ist weg, siegt in 15:37,47 Minuten. Den stärksten Endspurt hat das zweite US-Girl im Rennen, Erica Sullivan, die in 15:41,41 Minuten Silber holt. Und dann wird ein Traum wahr, ein Fluch gebrochen: Zum ersten Mal seit 13 Jahren schlägt mit Sarah Köhler eine Deutsche bei den Spielen in den Top Drei an: 15:42,91 Minuten, deutscher Rekord und vor allem: Olympia-Bronze! Der Jubel der 27-Jährigen kennt keine Grenzen.
Und auch ihrem Coach Bernd Berkhahn fällt ein Stein vom Herzen. Der Norddeutsche hat in Magdeburg einige der besten Schwimmer des Landes unter seiner Regie vereint. Geteilte Freude ist doppelte Freude.
Und dann merkt man, was dieser Moment für Sarah Köhler bedeutet. Diese Viertelstunde. Dieser Mittwoch in Tokio. Diese Zeit in Japan, in der sich zeigt, dass sich die jahrelange harte Arbeit gelohnt hat. Die Welt schaut zu, diese Tränen hat sich der Schwimmsport in Deutschland lange gewünscht. Und Sarah Köhler hat sie sich verdient.
Ein Olympiafinale ist nicht komplett ohne die Siegerehrung. Und die genießt Sarah Köhler in vollen Zügen.
Da ist es, das erste olympische Edelmetall im Pool für Deutschland seit Peking 2008. Und noch ist diese Geschichte nicht zu Ende geschrieben: Die 1.500 Meter der Männer bleiben ja olympisch. Und haben mit Sarah Köhlers Verlobtem Florian Wellbrock ebenfalls einen Medaillenkandidaten aus Deutschland. Der ist auch morgen schon dran: Über 800 Meter, der ehemaligen Frauenstrecke, die hier Olympiapremiere feiert.
Alle Bilder: Frank Wechsel / spomedis