Donnerstag, 5. Dezember 2024

Mein Corona-Schwimmjahr

Es hilft ja nichts. Wer sich nur beklagt, dass die Bäder geschlossen sind, kommt nicht weiter. Es lässt sich trefflich darüber streiten, ob es wirklich sinnvoll ist, alle Bäder wegen Corona geschlossen zu halten. In Hallenbädern mag ja eine gewisse Infektionsgefahr bestehen. Aber in Freibädern? Wohl kaum. Ja klar: wir fordern die Öffnung der Freibäder. Und weichen zugleich aus ins Freiwasser. Nicht Schwimmen ist ja keine Alternative.

Freiwasser ist seit mehr als einem Jahr DIE Alternative. Viele Schwimmer haben in den vergangenen 13 Monaten ihr Faible fürs Kraulen unter freiem Himmel entdeckt. Manche Novizen schwimmen mit Neo-Vollmontur. Mit Anzug, mit Haube, mit Handschuhen und mit Füßlingen.

Martin Tschepe Der Autor im Wasser vor seiner zweiten Heimat Sylt.

Zuerst im Neo. Als Kompromiss.

Als der ganze Mist im März 2020 anfing, sind mein Schwimmkumpan Bert und ich mit Neoprenanzug in den Neckar gestiegen. Eigentlich schwimmen wir auch im Winter immer ohne. Aber zu Beginn der Pandemie hieß es sinngemäß: bitte keine Experimente, keine gefährlichen Sportarten ausüben. Womöglich würden alle Klinikbetten noch anderweitig benötigt. Also haben wir unseren privaten Kompromiss gesucht und gefunden: als Eisschwimmer notgedrungen mit Neo trainieren. War ganz okay. Und klar: mit Neo sind weitere Strecken möglich als ohne.

Zusätzlich habe ich für mich das Kajakfahren entdeckt. Alle paar Tage knapp zwei Stunden lang ordentlich auf dem Neckar paddeln, das muss doch auch was bringen, so die Überlegung. Der Bewegungsablauf ist ähnlich wie beim Kraulen. Hat sich gelohnt. Ich bin beim ersten Freiwasserwettbewerb nach/trotz/mit Corona im Siemssee gestartet – und ganz ordentlich geschwommen. Eine bessere Zeit über die vier Kilometer hätte ich vermutlich auch mit meinem regulären Trainingsprogramm im Bad und im Freiwasser nicht hingelegt. Im Rahmen der Möglichkeiten also vieles richtig gemacht.

Martin Tschepe

Man sollte die Freibäder öffnen

Im Sommer hatten wir dann in den wieder eröffneten Freibädern unsere wahre Freude. Während der buchbaren Stundenslots könnten wir besser schwimmen denn je – auf den Bahnen waren nur wenige Mitschwimmer. Abstand halten war kein Problem. Das hätten wir – bitte schön – jetzt gerne wieder. Es sollte möglich ein, Freibäder im April zu öffnen. Wäre sicherlich auch schon im März oder im Februar möglich gewesen. Und das Wunnebad im Winnenden zum Beispiel, das eigentlich immer auch im Winter offen ist, hätte überhaupt nicht geschlossen werden müssen. Draußen steckt sich niemand an, sagen fast alle Experten.

Seit dem Herbst sind die Bäder leider wieder alle dicht: Wir schwimmen jetzt halt noch mehr als sonst im Winter im Freiwasser. Im November und im Februar war ich länger in Hörnum auf Sylt, ich darf anreisen, weil wir ein Haus auf der Insel haben – und weil ich für die Sylter Rundschau schreibe. Arbeiten ist erlaubt. Und schwimmen auch. Im Februar habe ich in der Nordsee meinen persönlichen Kälterekord geknackt: minus ein Grad Celsius. Zusammen mit meinem Kumpel Lars habe ich am Strand ein mobiles Saunazelt aufgestellt. Zum ordentlich Aufwärmen nach dem Eistraining. War mega cool. Seit ein paar Tagen bin ich wieder an der Nordsee – und regelmäßig auch in der Nordsee. Zurzeit hat das Meer gut fünf Grad – vergleichsweise warm also.

Martin Tschepe Wer das ganze Jahr über draußen schwimmt, schreckt vor ein bisschen Schnee nicht zurck.

Wettbewerbe im Freiwasser

Im Winter bin ich dann in x Gewässer geschwommen, in der Rems zum Beispiel und in allen möglichen und unmöglichen Seen, im fast komplett zugeeisten Finsterster See im Schwäbischen Wald zum Beispiel. Bert und ich haben im Coronawinter sogar bei zwei Wettbewerben mitgemacht. Beim virtuellen Eisschwimmen der Eiswürfel – jeder ist für sich gestartet, hat die Strecke im Freiwasser und die Zeit selbst gemessen. Das war Vertrauenssache – und auch nicht ganz ernst gemeint. Anfang Januar, als eigentlich die German Open in Veitsbronn hätten stattfinden sollen, haben viele Eisschwimmer kurze Videoclips produziert, die besten wurden prämiert. Bert und ich sind als Kunstschwimmer-Duo im Neckar angetreten.

Das Training im Freiwasser habe ich seit März ergänzt mit Ausdauersport auf dem Ergometer und mit dem guten alten Zugseil. Schon seit Jahrzehnten habe ich nicht mehr so regelmäßig am Seil gezogen.

Niemand weiß, wann Corona Geschichte ist. Und wann womöglich die nächste Pandemie anrollt. Für alle, die sich den ganzen Winter über geärgert haben, dass Schwimmen nicht möglich sei, weil die Bäder zu sind – ein Tipp: startet demnächst mit Freiwasserschwimmen. Vielleicht im Mai und womöglich zunächst mit Neo. Lasst den Neo im Juni oder Juli dann weg. Und bleibt bis in den Herbst hinein einfach dabei. Zwei-, dreimal die Woche im Freiwasser schwimmen, auch im Winter: Ihr gewöhnt den Körper an die widrigen Bedingungen. Regelmäßiges Kaltwasserschwimmen macht zudem glücklich, ein klein bisschen jedenfalls. Und das ist doch besser als die ganze Aufregung über die geschlossenen Bäder.

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Martin Tschepe
Martin Tschepehttp://www.bahn9.de/
Martin Tschepe ist freier Autor, Swimguide, Freiwasser- und Eisschwimmer des SV Ludwigsburg.

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