Dass der Mensch ein Individuum ist und kein Mensch dem anderen gleicht ist eine Binsenweisheit. Im Sport lässt sich das besonders gut erkennen. Deshalb nehmen wir den Beitrag zu den Schwimmzügen pro Bahn der WM-Vorläufe über 1.500 Meter Freistil noch einmal unter die Lupe.
Viele Diskussionen wurden entfacht, als in der vergangenen Woche die Tabelle der Zugzahl (pro Bahn) einiger Vorlauf-Teilnehmer der Weltmeisterschaften von Kasan veröffentlich wurde. Schließlich reichten die Werte von 46 Zügen von dem Würzburger Ruwen Straub bis zu lediglich 27 Zügen pro Bahn bei Weltrekordler Sun Yang aus China. Die Frage, die unweigerlich gestellt wird, lautet: Lässt sich daraus eine Regel ableiten?
Jeder Schwimmer ist anders
Die Antwort ist relativ schnell mit „Nein“ zu beantworten. Dass das Schwimmen eine sehr komplexe Sportart ist, erlebt jeder Sportler an jedem Tag seines Trainings. Kein Training ist exakt wie das andere. Allein das Eintauchen in ein anderes Medium erzwingt jedes Mal von Neuem die Fähigkeit, das Wasser optimal zu fühlen und zu greifen.
Sieht man sich die genannten Sportler etwas genauer an, um Ableitungen aus der Körpergröße zu ziehen, so kann man zwar feststellen, dass der kleinste Sportler die meisten Züge und der längste Sportler die wenigsten Züge benötigt. Auf dieser Grundlage eine Empfehlung auszusprechen oder gar eine Größen- und Zugzahlschablone über einen Sportler zu legen, wäre jedoch fatal.
Züge pro 50 Meter (WM-Vorlauf)
ZÜGE | NAME | ZEIT | GRÖSS |
---|---|---|---|
27 | Sun Yang | 14:55,11 min | 198 cm |
29 | Mykhailo Romanchuk | 14:57,82 min | 189 cm |
32 | Connor Jaeger | 14:53,34 min | 185 cm |
33 | Stephen Milne | 14:55,17 min | 183 cm |
35 | Michael McBroom | 14:57,07 min | 188 cm |
36 | Ryan Cochrane | 14:55,96 min | 193 cm |
37 | Pal Joensen | 14:58,52 min | 180 cm |
40 | Gregorio Paltrinieri | 14:51,04 min | 191 cm |
41 | Sören Meißner | 15:30,02 min | 191 cm |
46 | Ruwen Straub | 15:04,80 min | 178 cm |
Viel zu individuell sind die Körpermaße der Athleten, die in wesentlichen Punkten die Leistung beeinflussen. Diese und viele weitere Faktoren sind von außen kaum mit dem bloßen Auge erkennbar. Sieht man sich die Biomechanik der Sportart Schwimmen an, so sind besonders die Hebel und ihr optimaler Einsatz entscheidend für einen guten Vortrieb.
Wäre Dirk Nowitzki ein guter Schwimmer?
Bedenkt man die enormen Widerstände, die das Wasser gegen die eigentliche Schwimmrichtung stellt, so wird die Frontalfläche eines Schwimmers zu einem weiteren wesentlichen Einflussfaktor.
Darüber hinaus sind eine Vielzahl von individuellen Parametern für die Schwimmleistung verantwortlich. Zu nennen sind beispielsweise und ohne Anspruch auf Vollständigkeit:
- Hebel-Verhältnisse
- Gewicht
- Spannweite
- Relationen von Ober- und Unterkörperlänge
- Kraft
- Muskelfaserverteilung
- Ausdauer & VO2max
- Größe der Antriebsflächen (Hände, Füße)
- Separierte Vortriebsleistung der Arm- und Beinarbeit
Diesen messbaren Eigenschaften eines Sportlers stehen zudem noch viele Fähigkeiten gegenüber, die für die Qualität der Sensomotorik (z.B. des Wassergefühls) verantwortlich zu machen sind und schlussendlich auch darüber entscheiden, inwieweit man die objektiven körperlichen Parameter überhaupt gewinnbringend einsetzen kann. Oder einfach gesagt: Dirk Nowitzki wird trotz seiner 213 Zentimeter nicht zwangsläufig ein guter Schwimmer sein.
0,81 Sekunden pro Zug
Die Auflistung lässt demzufolge keinerlei Empfehlungen zu, sondern dient lediglich dazu, einen Überblick zu bekommen und eine gewisse Normalverteilung zu erkennen. Der „Normwert“, und damit ein Wert mit dem man eine gewisse Pauschalität auf diesem Leistungsniveau aussprechen darf, liegt der Tabelle zufolge bei ungefähr 35 Zügen pro Bahn.
Doch Vorsicht bei der Übertragung der Ergebnisse auf andere Leistungsbereiche: Es ist natürlich ein Unterschied, ob ein Weltklassesportler wie Ryan Cochrane für seine 36 Züge im Schnitt weniger als 30 Sekunden benötigt, jedoch ein passabler Hobbyschwimmer für dieselbe Zugzahl 45 Sekunden veranschlagen muss. Berechnet man zum Vergleich die Zeit, die die diese beiden Sportler pro Zug benötigen (Gleitphase nach Wende nicht einberechnet), so sieht man bei Cochrane (0,81 Sekunden pro Zug) und beim Hobbyschwimmer (1,25 Sekunden pro Zug) hoch signifikante Unterschiede.
Zugzahl ist also nicht gleich Zugzahl! Das Individuum Mensch folgerichtig wird besonders dann, wenn es sich ins Wasser bewegt, um viele Facetten reicher!