Mittwoch, 24. April 2024

Warum Sylt mein Eisschwimmparadies ist

Peter Jacob Eiskalt – die Nordsee kann im Winter auf unter 0 Grad Celsius abkühlen.

Als Kinder in Hörnum sind wir frühestens im April ganz kurz ins Meer gesprungen. Länger her, Anfang der 1970er war das. Rein und sofort wieder raus. Eine Mutprobe. Mehr nicht. Seit ein paar Jahren schwimme ich selbst im Winter deutlich längere Strecken in der Nordsee, manchmal 1.000 Meter weit, die magische Distanz der Eisschwimmer, die auch Wettkämpfe bestreiten.

Jedes Winterschwimmen ist eine Überwindung. Immer frage ich mich: muss das schon wieder sein? Aber ich weiß ja: Wenn ich mal drinnen bin in der Nordsee, dann ist das Gefühl überwältigend. Geschafft, ich habe es wieder geschafft, den inneren Schweinehund zu überwinden. Eiskaltes Wasser fühlt sich an wie tausend Stecknadeln auf der Haut. Bei fünf Grad werden die Hände und die Füße nach ein paar Minuten taub. Und das Kopfkino startet: schwimm weiter, einfach weiter, gut so, schon wieder eine Minute geschafft – und jetzt die nächste Minute.

Peter Jacob Der Autor in seinem kalten Element.

„Weil ich es kann“

Warum ich das mache? Die einfache Antwort: Weil ich es kann. Und weil ich für den nächsten Wettbewerb, die nächsten Meisterschaften trainiere. Bei den Weltmeisterschaften im Winterschwimmen vor zwei Jahren im Bleder See in Slowenien konnte ich in meiner Altersklasse dreimal zum Vizemeister-Titel kraulen. Dieses Erlebnis ruft förmlich nach Wiederholung. Also wird trainiert.

Auf Sylt schwimme ich am liebsten in Hörnum. Denn in Hörnum kann man immer schwimmen. Wenn die Wellen am Weststrand zu groß sind, ist in Hörnum auch bei Ebbe Wasser an der Ostküste. Ideale Bedingungen für alle Winter- und Eisschimmer. Das sagt auch Wilma Knuth, die 55-jährige Frau ist auf Föhr geboren und auf der Hallig Langeneß aufgewachsen. Seit 1983 lebt die Mutter von zwei erwachsenen Kindern auf Sylt, seit 1994 in Hörnum. Und Wilma Knuth schwimmt immer, wirklich immer. „2021 habe ich meinen Rekord aufgestellt, ich war 805-mal im Meer“, erzählt sie. 805-mal? „Ja“, antwortet die Frau, die bei der Gemeindeverwaltung Hörnum arbeitete, „im Sommer bin ich oft dreimal am Tag im Wasser.“ Und im Winter immer am Morgen, außer bei Sturmflut, manchmal schon früh um sechs Uhr, manchmal erst um zehn. Auch sie schwimmt am liebsten am Hörnumer Oststrand und bleibt meistens für 30 Brustarmzüge im Wasser, ein paar Minuten lang.

Morgens um sechs in kalte Wasser

Wenn Frau Knuth vom Schwimmen und Baden in der eiskalten Nordsee erzählt, dann strahlen ihre Augen. Sie spricht von einem „guten Gefühl“ und – ja auch – von „Zwang“. Quasi einer Sucht. Sie muss immer wieder rein ins Meer. Ganz besonders toll sei das Schwimmen während des Sonnenaufgangs. Seit sie auch im Winter täglich in der Nordsee badet, sei sie nie mehr „richtig krank“ gewesen. Eine schnöde Erkältung hält diese Frau freilich auch nicht ab vom morgendlichen Gang ins kalte, coole Salzwasser.

Ungezählte Männer und Frauen hat diese Leidenschaft eiskalt erwischt. Land auf, Land ab. Seit Beginn der Coronapandemie haben viele Menschen das Eisschwimmen und Eisbaden für sich entdeckt. Kein Wunder, es gibt halt Leute, die müssen schwimmen wie essen und trinken. Also möglichst jeden Tag. Und zu oft waren seit dem Beginn der Pandemie die Bäder in Deutschland geschlossen, auch die Sylter Welle in Westerland war lange dicht.

Salzwasser gefriert später als Süßwasser.

Eischwimmen sei nicht nur gesund, Eisschwimmen „macht auch glücklich“, sagt meine Eisschwimmfreundin Julia Wittig aus Burghausen in Bayern. Die Grundschullehrerin ist mehrfache Weltmeisterin und hat jetzt ein Buch zum Thema geschrieben, Titel „Eisschwimmen – Wie du dich körperlich und mental richtig vorbereitet und deine Grenzen überwindet“. Die Autorin verweist auch auf die Studie eines internationalen Forschungsteams zum Thema „Cold Water Swimming – Benefits and Risks“ aus dem Jahr 2020. Darin heißt es: „Regelmäßiges Schwimmtraining in kaltem Wasser scheint sich positiv auf verschiedene Systeme wie das Herz-Kreislauf-System, das Hormon-System und das Immunsystem sowie auf die Psyche auszuwirken.“ Festgestellt wurde, dass Mitglieder einer Gruppe von Winterschwimmern über eine bessere Durchblutung verfügen als die Mitglieder einer Kontrollgruppe, die nicht regelmäßig ins kalte Wasser steigen.

Wer Eisschwimmen ausprobieren will, sagt die Hörnumerin Wilma Knuth, sollte nicht jetzt – mitten im Winter – damit anfangen, sondern im Spätsommer einfach dran bleiben, weiter regelmäßig rein gegen in das langsam kälter werdende Wasser. Und, ganz wichtig: vorher von einem Arzt durchchecken lassen. Temperaturmäßig gibt es übrigens kaum Grenzen fürs Eisschwimmen. Spätestens wenn es so kalt ist, dass die Gewässer zufrieren, ist leider Schluss. Wie schön, dass Salzwasser später gefriert als Süßwasser. Mein persönlicher Kälterekord: minus 0,8 Grad im frostigen Februar 2021 am Weststrand in Hörnum. Auf der Ostseite war das Meer damals schon fast komplett vereist.

(Dieser Text erschien zuerst in der Sylter Rundschau)

Martin Tschepe
Martin Tschepehttp://www.bahn9.de/
Martin Tschepe ist freier Autor, Swimguide, Freiwasser- und Eisschwimmer des SV Ludwigsburg.

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