Am Ende der 4 x 200 Meter Freistilstaffel bei der EM in Berlin hat man es wieder gesehen: Unnachahmlich zieht Deutschlands Schlussschwimmer Paul Biedermann auf der letzten Bahn das Tempo an, schwimmt zum führenden Russen auf und schließlich zum Sieg. 2,29 Sekunden nimmt der Hallenser seinem Rivalen allein auf den letzten 50 Metern ab. Und dabei ist Alexander Sukhorukow alles andere als langsam unterwegs. Der Russe schwimmt immerhin die sechstschnellste Zeit aller 32 Athleten.
Beim Training mit Endbeschleunigung geht es einerseits darum, den Stoffwechsel nochmals einer harten Belastungsprobe auszusetzen und andererseits die psychische Stärke zu festigen. In der Laufszene wird der Trainingslauf mit systematischer Endbeschleunigung vor allem bei etwas längeren Läufen eingesetzt. Hier geht es im Kern darum, der auch später im Wettkampf aufkommenden Ermüdung einen Gegenreiz zu bieten und das Tempo halten zu können. Diese Trainingsmethode zählt deshalb körperlich wie mental zu sehr herausfordernden Aufgaben im Trainingssystem von Laufsportlern.
Freiwasser und Pool
Im Schwimmen sieht man vergleichbar lange Belastungsformen zwar am ehesten bei den Freiwassersportlern, die fünf und mehr Kilometer zurücklegen und dabei ähnliche Rennsituationen erleben wie der Marathonläufer. Dennoch gilt es auch für Beckenschwimmer, das Endspurtverhalten zu optimieren. Nicht nur, weil es möglicherweise um Sekundenbruchteile in der Entscheidung um den schnellsten Anschlag geht. Vielmehr lässt sich ein Rennen auch mental anders angehen, wenn man weiß, dass man die letzten Meter ordentlich „beißen“ kann.
Beispielserien
8 x 50 Meter | 35m GA1 + 15m Tempoerhöhung auf maximales Tempo inkl. Wettkampfanschlag, Pause: 45-60 s |
8 x 100 Meter | 90m GA1 + 10m maximale Geschwindigkeit inkl. Wettkampf-Anschlag, Pause: 60 s |
5 x 200 Meter | 175m GA1 + 25m Tempoerhöhung mit Endspurt auf den letzten 10m, Pause: 60 s |
800 Meter | Im Wechsel: 90m GA1 + 10m maximales Tempo inkl. schneller Wende, dynamischem Abstoß und Übergang |
Der Schlüssel: Gute Technik trotz hoher Belastung
Das Training mit einer Endbeschleunigung sollte deshalb immer eine gewisse Vorermüdung beinhalten, um im Bereich der letzten 10 bis 20 Prozent der Gesamtbelastung die Intensität noch einmal schlagartig nach oben zu fahren. Damit lernt der Sportler, der aufkommenden Erschöpfung gezielt stand zu halten, respektive entgegen wirken zu können. Mindestens genauso wichtig wie der eigentliche Trainingsreiz sind aber zwei weitere Aspekte.
Sehr häufig zerfällt das gewohnte und optimierte Koordinationsmuster gerade dann, wenn es am dringendsten gebraucht wird. So kann es passieren, dass man auf den letzten Metern den Zug wegen der nachlassenden Kraft nicht mehr in der gewohnten Länge durchführen kann, dabei immer kürzer wird und diese Situation mit einer erhöhten Frequenz ausgleichen möchte. Die zwangsläufig unsaubere Technik führt dann eher zu einer Verlangsamung der Schwimmgeschwindigkeit als es noch einmal zur einer Erhöhung derselben führt. Das Einhalten der optimalen koordinativen Muster ist deshalb auch in der Endspurtphase ein wichtiges Element für ein erfolgreiches Rennen. Und weil das gar nicht so einfach ist, wie man meint, ist das systematische Provozieren dieser Situation ein wichtiges Element in der Trainingsplanung.
Nicht nur für Profis: Anschlag trainieren
Ein weiterer Aspekt liegt in der mentalen Kraft des Sportlers. Je häufiger sogenannte „Krisensituationen“ im Training geübt wurden, desto selbstsicherer wird der Sportler in der Bewältigung der Aufgabe. Und je weniger man im Wettkampf von diesen Situationen überrascht wird, weil man sie eben kennt, umso besser ist die Grundvoraussetzung, adäquate Verhaltensstrategien im richtigen Moment einsetzen zu können.
Trainieren Sie deshalb regelmäßig ganz bewusst den letzten Abschnitt Ihres Rennens mit all den spezifischen Herausforderungen, die es mit sich bringt. Übrigens kann es auch nicht schaden, verschiedene Anschlagsituationen zu erzeugen. Lernen Sie es als Schwimmer, bereits fünf bis acht Meter vor der Wand den Rhythmus zu antizipieren, um Ihre Zuglänge auf einen optimalen Anschlag hin zu timen. Denn manchmal sind es eben doch die Fingerspitze und der kluge Anschlag, die über den Ausgang eines Rennens entscheiden.