Monika Keck überlebte den Tsunami im Dezember 2004 und litt danach lange an einem sogenannten Ertrinkungstrauma. Ihre Leidenschaft fürs Wasser war dahin. Im Interview erklärt die Bayerin, wie sie trotzdem zu einer passionierten Freiwasserschwimmerin wurde.
Viele Freiwasserschwimmer und Schwimmerinnen haben ihre Leidenschaft in jungen Jahren entdeckt. Bei Dir war das anders. Seit wann schwimmst Du längere Strecken in Seen? Genau genommen schwimme ich schon seit meiner Kindheit in den oberbayerischen Seen – ich bin im Fünfseenland, im Landkreis Starnberg, aufgewachsen. Mein Vater war Sportlehrer und lehrte mich das Schwimmen im Weßlinger See. Meine erste Wasser-Leidenschaft war jedoch das Windsurfen, als junge Frau liebte ich es, bei starkem Wind über den türkisfarbenen Wörthsee zu flitzen. 2009 und 2010 absolvierte ich nach meiner Ertrinkungstrauma-Verarbeitung alle drei Rettungsschwimmabzeichen bei der Wasserwacht und begann, längere Strecken in Freibädern zu schwimmen. Ab 2010 gab ich zudem Kinderschwimmkurse. In Seen schwimme ich erst seit Kurzem.
Du hast die Tsunami-Katastrophe im Dezember 2004 in Thailand überlebt und in der Folge eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) entwickelt. Du konntest kein Wasserrauschen mehr hören und nicht mehr schwimmen, auch nicht im Hallenbad. Jahre später bist Du dann trotzdem zur Freiwasserschwimmerin geworden. Oder womöglich wegen der PTBS? Wir waren am 26. Dezember 2004 auf einer Halbinsel, gingen am Strand entlang und hörten das gewaltige Rauschen der Welle in der Ferne. Intuitiv hatte ich das Gefühl, dass etwas nicht stimmte, wir uns in Gefahr befanden. Plötzlich schrie uns eine Gruppe von Thailändern zu, wir sollten mit ihnen den Hügel hinauflaufen. Während dieser lebensbedrohlichen Flucht und den darauffolgenden Stunden überwältigten mich Gefühle der Ohnmacht und Hilflosigkeit. Das sind Kennzeichen von traumatischen Erfahrungen, die im Gehirn und auch im Nervensystem abgespeichert werden. 2005 litt ich zunächst unter wiederkehrenden Albträumen vor dem Ertrinken in den Wellen – ein Symptom meiner PTBS. Dann bemerkte ich, dass Wassergeräusche, die dem Rauschen des Tsunami ähnelten, immer wieder Panik bei mir auslösten, da diese in Kombination mit Todesangst in meinem Gehirn abgespeichert waren.
Du bist dann erst mal nicht mehr geschwommen. Schwimmen war erst wieder nach meiner Traumabehandlung, ab etwa 2007, möglich. Später lernte ich als hauptamtliche Mitarbeiterin in einem Hospizdienst, Sterben und Tod als einen Teil des Lebens anzunehmen und bekam daher den Mut, zu dem Ort meines traumatischen Erlebnisses zu fliegen: 2019 reiste ich alleine nach Thailand. Im Anschluss an diese Trauma-Konfrontation bekam ich eine ungeahnte Lebenskraft und begann 2020 mit dem leidenschaftlichen, angstfreien Überqueren von den Seen in meinem Landkreis. Ich erlebte durch meine Reise und durch das Freiwasserschwimmen, dass Angst ein Motor sein und die Überwindung der Angst alle zuvor erlebten Grenzen sprengen kann.
Was gibt Dir persönlich das Schwimmen heute? Sehr viel. Ich liebe es, schwerelos kraulend im glitzernden Wasser dahinzugleiten – ganz hingebungsvoll jeden einzelnen, schönen Moment genießend. Dabei finde ich meine innere Ruhe. Schwimmend „erzähle“ ich dem Wasser meine Gedanken, bin zunächst in einem inneren Dialog mit mir selbst. Je länger ich schwimme, desto mehr sortieren sich meine Gedanken, ich finde sogar Lösungen und bekomme kreative Ideen beim Schwimmen. Was können wir alle beim Schwimmen erfahren und lernen? Ich werde vom Wasser getragen, ich werde vom Leben getragen.
Wo schwimmst Du am liebsten? Ich gehe gern ins Freibad der Chiemgau Thermen und genieße dort den grenzenlosen, weiten Blick auf den Simssee und die Berge. Da meine Mutter während des 2. Weltkrieges im Chiemgau lebte und 2012 verstarb, habe ich eine ganz besondere Verbindung zu dieser Landschaft. Am liebsten schwimme ich jedoch in den Bayerischen Seen. 2022 habe ich das erste Mal in meinem Leben an einem Wettkampf teilgenommen und den Chiemsee beim Langstreckenschwimmen von der Fraueninsel bis nach Übersee – etwa 4,5 Kilometer – überquert.
Mit Deinem Buch „Welle der Veränderung“ willst Du andere Menschen ermutigen, sich den eigenen Ängsten zu stellen. Für wen kann Schwimmen Therapie sein? Dabei stellt sich zunächst die Frage – wie entstand 2018 die Intention zu meinem Buch? Während meiner Arbeit als Koordinatorin im Ambulanten Hospizdienst lernte ich viele Krebspatientinnen kennen, die mir am Lebensende von ihren Traumata erzählten, die sie ein Leben lang verdrängt hatten. In der Konsequenz fragte ich mich, ob ich mein eigenes Trauma schon ausreichend bearbeitet hatte und daraus entstand meine Idee zur Konfrontation. Durch den ungeahnten Kräftegewinn nach der Thailand-Reise 2019 lernte ich, dass Traumata viel Lebenskraft binden können. Daraus resultierte meine Schlussfolgerung, dass es scheinbar sehr wichtig ist, sich den eigenen Ängsten und Traumata zu stellen. Schwimmen kann für gestresste, auch für traumatisierte Menschen heilsam sein: Zum Beispiel das lange Ausatmen, die Bauchatmung beim Kraulen aktiviert den Parasympathikus, unser Nervensystem findet durch diese Atmung in die Ruhe. Die Neurologin Dr. Claudia Croos-Müller hat Körperübungen entwickelt, die unserem Gehirn Kraft und Selbstwirksamkeit signalisieren. Die Armbewegungen beim Brustschwimmen sind ein gutes Gegenmittel gegen Schwächegefühle und Hilflosigkeit, die sich beim Trauma einstellen, das beschreibt sie in ihrem Buch „ALLES GUT – Das kleine Überlebensbuch.“
Du schreibst von „Posttraumatischem Wachstum“. Was ist mit diesem Begriff gemeint? Nach Stephen Joseph stehen im Kern des posttraumatischen Wachstums drei existenzielle Einsichten: Die Erste ist die Erkenntnis, dass es keine Sicherheit im Leben gibt und alles im Fluss ist. Es geht um das Annehmen der Ungewissheit und die Vergänglichkeit der menschlichen Existenz. Die zweite ist die psychologische Achtsamkeit – darin verbinden sich das Ich-Bewusstsein mit dem Bewusstsein, wie eigene Gefühle, Gedanken und das Verhalten zusammenhängen, mit einer flexiblen Einstellung zur persönlichen Veränderung. Die dritte Einsicht ist das Anerkennen der eigenen Handlungsmächtigkeit – ich bin voll und ganz für meine Entscheidungen und die Konsequenzen verantwortlich.
Du hast das 5-Seen-Schwimmen ausgetüftelt und lädst andere ein. Wo genau schwimmt Ihr? Wer schwimmt mit?Die Idee zum 5-Seen-Schwimmen entstand durch mein erstes Buch „Noch einmal schwimmen. Sterbebegleitung meiner krebskranken Mutter“. Sie war auch eine leidenschaftliche Schwimmerin. Etwa ein dreiviertel Jahr vor ihrem Tod wollte sie mit mir noch einmal im Freibad schwimmen gehen. Dies war jedoch aufgrund ihrer Chemotherapie nicht mehr möglich. Das 5-Seen-Schwimmen ist eine öffentliche Aktion für die Hospizarbeit, da dieses Thema immer noch unbekannt ist und gern verdrängt wird. An jedem See zünden wir Kerzen für die im See ertrunkenen Menschen an. In einer Gruppe von leidenschaftlichen Schwimmerinnen überqueren wir gemeinsam die 5 Seen und werden dabei sehr engagiert und zuverlässig von den jeweiligen Wasserwachten begleitet. Mitschwimmen darf jeder und jede – auf eigene Verantwortung und nur mit einer Freiwasserboje.
Hast Du neue Schwimm-Pläne für 2023? Im Februar 2023 werde ich noch mal nach Thailand fliegen und auch den Ort besuchen, an dem ich den Tsunami damals überlebt habe. Dieses Mal wird es aber kein Urlaub, in dem die Konfrontation und das Buchschreiben im Vordergrund stehen, sondern ich möchte einen schönen Urlaub gestalten, mir vieles ansehen und das Freiwasserschwimmen im Meer trainieren. Ich werde wieder das 5-Seen-Schwimmen für den Juli organisieren und möchte vielleicht an weiteren Wettkämpfen teilnehmen. Die Bodensee-Querung von Meersburg nach Konstanz würde mich sehr interessieren.
Mehr Infos zum Buch „Welle der Veränderung“ von Monika Keck gibt es hier.