Martins Tagebuch von der Eis-WM #5: 1.000 Meter sind verdammt lang und eiskalt

Endlich steht er an, der WM-Höhepunkt über 1.000 Meter. Neben den Stars der Szene wie Andreas Waschburger und Alisa Fatum-Böker geht auch der SWIM-Autor über den Kilometer ins Eiswasser.

Martin Tschepe Andreas Waschburger ist über 1.000 Meter eine Klasse für sich.

Freitag, 9 Uhr. Auf dem Programm stehen die 1.000 Meter. Am Morgen, so heißt es, die Wassertemperatur im Wettkampfbecken betrage erfrischende 0,9 Grad. In so kaltem Wasser bin ich noch nie ein Rennen geschwommen. Vermutlich erwärmt sich das Wasser noch ein bisschen, mehr als zwei Grad sind aber ganz bestimmt nicht zu erwarten. 1.000 Meter also: Eine auch für viele Eisschwimmerinnen und Eisschwimmer schier unglaublich lange, kalte Distanz. Die Starter in den ersten Läufen sind aus meiner Sicht die wahren Helden, denn sie sind extrem lange im Becken. Die sogenannte Cut-Off-Time: 24 Minuten, sagt Ram Barkai, der IISA-Präsident, am Morgen. Ein paar Sekunden Zugabe seinen Okay. Spätestens nach 25 Minuten sei aber Schluss.

Ich schaue nur kurz vorbei am Beckenrand, unterhalte mich mit ein paar israelischen Sportlern – bin aber eigentlich selbst schon im Tunnel: Meine 1.000 werden um die Mittagszeit gestartet. Vermutlich gegen 13 Uhr. Ich weiß jetzt schon: wenn ich auf der Startbrücke stehe und es heißt: „Go into the Water“, dann frage ich mich – wie immer: Warum nur tue ich mir das an? Später weiß ich denn wieder: Weil es extrem cool ist, den inneren Schweinehund zu überwinden, die Komfortzone zu verlassen. Meinem Schwimmfreund und WM-WG-Kollegen Lars geht es vermutlich ähnlich. Er sei schon ein bisschen aufgeregt, erklärt er am Morgen.

Ohne Training zur WM

Wir haben Dusel, während unserer Starts dürfte wieder die Sonne vom tiefblauen Himmel auf unsere Rücken scheinen. Das fühlt sich dann ein bisschen besser an als bei Dunkelheit oder bei Regen. In Lauf drei schwimmt Omir Gonen, der Mann aus Israel hat daheim kein Eiswasser zum Trainieren. Respekt! Auf der Anzeigetafel am Beckenrand ist zu lesen: Weltrekord 11:24 Minuten, gehalten von Andreas „Waschi“ Waschburger, der erst am Abend im Finale seinen Kilometer schwimmen wird.

Einige Männer, die am Vormittag im Wasser sind, haben nach 11:24 gerade mal 600 Meter geschafft. Der Mann auf Bahn sechs wird vorzeitig rausgeholt, der Pole ist zu langsam, er hätte die 24 Minuten niemals geschafft. Auch die 25 nicht. Omir aus Israel schwimmt indes 20:16 – sein allererster Kilometer im Eiswasser! Und: wie war’s? „Gut“, sagt Omir.

Gegen 13:30 Uhr bin ich im Callroom. Gut für Lars, er schwimmt einen Lauf vor mir – und unmittelbar vor seinem Lauf Nummer neun reißt seine Hose, ein großes Loch, nicht schwimmbar. Ich habe Ersatz im Gepäck. Lars schwimmt mit meiner Ersatzhose 17:09 Minuten. Als er seine 1.000 absolviert hat, bin ich dran. Christof „Wandi“ Wandratsch ruft mit zu: viel Vergnügen. Ein zweifelhaftes Vergnügen. Er hat gut lachen, der Wandi lässt die 1.000 Meter aus.

Vorfreude auf den Anschlag

Auf der Bahn neben mir schwimmt Fergil Hesterman, Overall-Vizeweltmeister von 2019, AK 30 – ich bin fast doppelt so alt wie er. Vor unserem Start reißt die Leine zwischen meiner und Fergils Bahn, kurze Unterbrechung. Und dann heißt es: „Go into the Water.“ Meine ersten 500 Meter fühlen sich ganz gut an, bei etwa 700 Metern wird’s hart, bei 900 kommt die Vorfreude auf den Anschlag.

Fergil zieht vom Start weg auf und davon – er gewinnt den Lauf in 15:24 Minuten. Ich komme als Fünfter an, 16:47 Minuten. Die Zeit ist in Ordnung. Ich war schon mal schneller, 15:17, länger her. Ich werde Zweiter in meiner Altersklasse. Sehr schön, Medaille WM-Nummer vier. Nach diesen 16:47 Minuten beginnt das große Zittern. Es ist saumäßig kalt, das Gefühl in den Händen und Füßen ist weg. Mein persönlicher Betreuer Martin Hofmann (Danke dafür, Martin) begleitet mich die nächste halbe Stunde, zum Medical Check und dann zur Sauna. In der Schwitzkabine ziehe ich mich komplett an, als ich wieder einigermaßen aufgewärmt bin, stehe ich am Beckenrand. Eben kommt Marek Rother, Polen, ins Ziel, er ist nur ein paar Jahre jünger als ich – und sagenhafte drei Minuten schneller. Glückwunsch, Marek.

Markus Rogan schwimmt 200 Meter Lagen

Die Stimmung am Beckenrand könnte kaum besser sein. Das Wasser ist zwar kalt, die Zuschauer aber stehen in der prallen Sonne – und das fühlt sich an wie Frühling.

Ich muss jetzt erstmal was essen und die WM vorübergehend abhaken. Die 200 Meter Lagen verpasse ich weitgehend. Anne Sarah Richter schwimmt AK-Weltrekord, heißt es in unserer WhatsApp-Gruppe. 2:57,4 Minuten schwimmt sie. Sehr cool.

Gegen 17 Uhr bin ich zurück in der Arena. Pünktlich zu den Finals. Emilie Finer, schwimmt Weltrekord über 200 Meter Lagen, 2:38,5. Dann die Männer, „Markus, das ist deins“, schreien ein paar Zuschauer. Gemeint ist Markus Rogan. Der Ex-Olympiaschwimmer aus Österreich wird Dritter in 2:21,3 Minuten.

Fatum-Böker und Waschburger holen Gold

Zum Abschluss der Höhepunkt der WM, die schnellsten 1.000 Meter-Läufe. Die Frauen: Alisa Fatum-Böker ist Titelverteidigerin, sie hält den Weltrekord. 12:41 Minuten. Die Stimmung beim Team Deutschland ist top. Alisas Mama, mit Stoppuhr in der Hand, erklärt nach etwa 300 Metern: „etwa zwei Sekunden hinter dem Plan“. Alisa liegt bald weit vorn, schwimmt eine tollen Start-Ziel-Sieg in 13:03 Minuten.

Dann Andreas Waschburger. Er liegt nach 300 Metern gut eine Länge vorn, setz sich dann bald deutlich ab von der Konkurrenz und holt den Titel, 11:43,1 – glasklar Weltmeister. Was für ein Tag für Team Deutschland! Und was für eine WM! Die vier wichtigsten Titel gewonnen: beide 500er und beide 1.000er geholt.

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Martin Tschepe
Martin Tschepehttp://www.bahn9.de/
Martin Tschepe ist freier Autor, Swimguide, Freiwasser- und Eisschwimmer des SV Ludwigsburg.

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