Wenn Michael Groß über seine Schwimmkarriere plaudert, hat er ordentlich was zu erzählen. Zum Beispiel, dass er während seiner Laufbahn 38.000 Kilometer im Becken zurücklegte, davon aber gerade einmal vier Kilometer bei internationalen Großveranstaltungen. Außerdem verlangte sein Trainer wenige Monate vor den Olympischen Spielen 1984, bei denen er zwei Goldmedaillen holte, dass er kurz hintereinander zwei Halbmarathons absolviere, was er trotz einer 20 Zentimeter dicken Schneedecke pflichtbewusst durchzog.
Es sind solche und andere Anekdoten, die Deutschlands bis heute populärster Schwimmstar in der vergangenen Woche bei einem Wohltätigkeitsabend in Münchholzhausen in der Nähe von Gießen zum Besten gab. Laut der Gießener Allgemeinen, die von dem Abend berichtet, sagte Groß vor 80 Gästen, dass er heute nur noch selten Schwimmen geht. „Im Sommer bin ich gerne und oft beim Wakeboarden am Heuchelheimer See und schwimme anschließend noch einige Bahnen.“
Ein Schwimmstar verzählt sich
Auch vielen Groß-Kennern dürfte neu sein, dass der spätere „Albatros“ mit 13 Jahren eine Schwimmpause einlegte und sich im Basketball versuchte. Allerdings war der sportliche Ausflug wohl nicht von Erfolg gekrönt, denn er dauerte nur ein halbes Jahr. Kurz danach startete der gebürtige Frankfurter im Schwimmen richtig durch und schon bald standen die ersten internationalen Auftritte an. Dabei, so erzählte Groß, geschah ihm gleich im ersten Rennen ein peinliches Missgeschick. „Schon auf der letzten Bahn wunderte ich mich, warum ich um mich herum niemanden im Becken sah. Ich dachte mir, ich liege offenbar sehr gut im Rennen. Als ich dann anschlug, stand mein Trainer schon am Block. Wir schauten uns ungläubig an und er sagte, ich wäre 100 Meter zu viel geschwommen.“
Die Trainingsmethoden waren in den Achtzigern noch etwas anders als heute. Über seinen Halbmarathon im Februar 1984 im tief verschneiten Offenbach sagt Groß im Nachhinein: „Dieses Gefühl, dass man etwas schafft trotz Widerständen und damit sich selbst überrascht, ist doch etwas, was unser Leben ausmacht. Hindernisse zu überwinden begleitet uns jeden Tag, aber die besonderen Dinge bleiben im Gedächtnis.“
„Immer wieder selbst herausfordern“
Nur einen Monat später standen in New York erneut 21,1 Kilometer in Laufschuhen auf dem Trainingsplan. Diesmal forderte Groß‘ Trainer, dass er direkt im Anschluss 100 Meter im Pool Vollgas schwimme. „Ich rechnete etwa mit einer Zeit von einer Minute, lag aber bei 53,8 Sekunden. Dies war ein Impuls, mich immer wieder selbst herauszufordern.“ Im Juli 1984 gewann Groß in Los Angeles Olympiagold über 200 Meter Freistil und 100 Meter Schmetterling sowie Silber über 200 Meter Schmetterling und mit der deutschen 4×200-Meter-Freistilstaffel. Vier Jahre später stand er in Seoul erneut auf dem Treppchen. Diesmal gelang ihm der Olympiasieg über 200 Meter Schmetterling. Außerdem holte er erneut Staffelsilber.
Für seinen Vortrag in Münchholzhausen erhielt Groß übrigens keine Gage. Die Bedingung für seinen Auftritt war laut Gießener Allgemeine, dass der Veranstalter einen bestimmten Betrag für einen wohltätigen Zweck spendete. Die gesamten Einnahmen der Veranstaltung sollen einem schwerkranken Mädchen zugutekommen.
Michael Groß (Jahrgang 1964) war in den 1980er-Jahren Deutschlands erfolgreichster Schwimmer. Neben sechs Olympiamedaillen gewann er 30-mal Edelmetall bei Welt- und Europameisterschaften. Nach unserer Rechnung schwamm der Frankfurter dabei weit mehr als die von ihm genannten 4 Kilometer bei Großereignissen. Allein seine internationalen Finalteilnahmen summieren sich auf fast 6.000 Meter im Pool.
Gleich viermal (1982, 1983, 1984, 1988) wählten die deutschen Sportjournalisten Groß zum Sportler des Jahres. Nach dem Ende seiner Schwimmkarriere promovierte er 1994 in Philologie. Heute ist Groß Hochschuldozent in Frankfurt und erfolgreicher Buchautor.