Ein Mann krault mitten im Dezember 2014 im eiskalten Wöhrsee in Burghausen. Was für eine „unglaubliches Ereignis“, schreibt Julia Wittig in ihrem jetzt erschienenen Buch „Eisschwimmen – Wie du dich körperlich und mental richtig vorbereitet und deine Grenzen überwindet“. Damals, so die Autorin weiter, sei sie von dieser Ungeheuerlichkeit fasziniert gewesen. Dass es Athleten gibt, die in Wettkämpfen 1.000 Meter weit im eiskalten Wasser schwimmen, sei für sie komplett unvorstellbar gewesen. Die ehemalige Leistungsschwimmerin war aber wie elektrisiert – und wollte dieses Eisschwimmen unbedingt auszuprobieren. Im Rückblick könnte man wohl sagen: nach ihrem ersten Ausflug ins Eiswasser – „drei bis vier Brustschwimmzüge mit wärmender, dicker Wollmütze“ – hat für Julia Wittig der Exzess begonnen. Gut zwei Jahre später wird die Grundschullehrerin Weltmeisterin über die magischen 1.000 Meter Freistil, in 13:07 Minuten. Ein neuer Weltrekord.
Julia Wittig erzählt in ihrem Buch was Eisschwimmen ist: schwimmen nur mit Badebekleidung in Wasser, das kälter ist als fünf Grad. Sie beschreibt, wie die Kälte auf den Körper wirkt, und was ein sogenannter Kälteschock ist: Das Herz ist im Eiswasser verwirrt, soll es aufgrund des einsetzenden Tauchreflexes – automatisches Anhalten der Luft – langsamer schlagen? Oder aufgrund des Kältereflexes schneller schlagen? „Durch diese paradoxe Situation kann es passieren, dass das Herz gar nicht mehr schlägt.“ Eisschwimmen ist ein Extremsport.
Zittern kann verstörend wirken
Wer sich aber vorher von einem Arzt gründlich durchchecken lässt und sich langsam herantastet an die Kälte, für den sei Eisschwimmen gesund. Die Autorin verweist auf die Studie eines internationalen Forschungsteams zum Thema „Cold Water Swimming – Benefits and Risks“ aus dem Jahr 2020. Darin heißt es: „Regelmäßiges Schwimmtraining in kaltem Wasser scheint sich positiv auf verschiedene Systeme wie das Herz-Kreislauf-System, das Hormon-System und das Immunsystem sowie auf die Psyche auszuwirken.“ Festgestellt wurde, dass Mitglieder einer Gruppe von Winterschwimmern über eine bessere Durchblutung verfügen als die Mitglieder einer Kontrollgruppe, die nicht regelmäßig ins kalte Wasser steigen. Sie persönlich bleibe weitgehend von Erkältungskrankheiten verschont, schreibt Wittig. Und dann verrät sie, dass sie beim Eisschwimmen Selbstgespräche führt, das bringe ihr „mehr mentale Stärke“. Während eines Rennens oder im Training denke sie nie: „Oh nein, so kalt, so lang, so viel.“ Stattdessen lieber: „Eine Bahn ist schon geschafft, jetzt die nächsten.“
Zu den No-Gos nach dem Eisschwimmen gehört für die Weltmeisterin heiße Duschen, viel Bewegung, Alkohol, Kaffee und Schwarztee. Muskelzittern indes sei „die beste körpereigene Methode“ um sich von innen heraus aufzuwärmen. Nach dem Eisschwimmen gebe es in der Regel ein Zeitfenster von etwa fünf Minuten, bis der Körper durch Zittern wieder Körperwärme selbst produziert. Diese Zeit sollte der Eisschwimmer nutzen, um sich anzuziehen. Später wird es oft unmöglich, sich allein anzukleiden oder auch nur eine Tasse Tee zu halten, ohne den Inhalt zu verschütten. Dieses Zittern könne für Begleitpersonen verstörend wirken, ist aber eine natürliche und wichtige Reaktion des Körpers zur Thermoregulation. Zugespitzt könnte man wohl sagen: bedenklich wird’s, wenn der Eisschwimmer nach einem längeren Training nicht mehr beginnt zu zittern.
Im Winter friert sie nicht so oft
Julia Wittigs vermutlich wichtigster Rat: Sicherheit geht vor. Immer. Schwimmt nie allein, immer in der Nähe des Ufers. Steigt nicht mitten im Winter ein in das Training, sondern im Spätsommer oder im Herbst. Bestenfalls mit Begleiter an Land schwimmen, dieser kann im Notfall helfen oder Hilfe holen. Und: niemals ins Eiswasser hinein springen. Selbst bei den Wettkämpfen steigen die Sportler langsam ins Wasser und starten aus dem Wasser heraus. Ein Kopfsprung erhöht die Gefahr eines Kälteschocks. In dem Buch kommen auch Mediziner zu Wort, etwa Ernest Hartl, der beispielsweise davon abrät, unmittelbar vor dem Eisschwimmen anderen Sport zu betreiben, etwa zu joggen. Denn beim Rennen öffnen sich die Blutgefäße. Das Eiswasser aber bewirke das Zusammenziehen der Gefäße – es bestehe die Gefahr eines Herzinfarkts.
Faustregel für Einsteiger: die Wassertemperatur gibt die Schwimmzeit vor – also zehn Grad: maximal zehn Minuten schwimmen, fünf Grad: maximal fünf Minuten Julia Wittigs Trainingseinheiten sind im Wasser mit weniger als fünf Grad etwa 15 Minuten lang, das, schreibt sie, sei für Anfänger aber völlig irrelevant. Im Buch sind Trainingspläne abgedruckt, für Anfänger, für Hobbyschwimmer und für quasi-Profis wie jenen Mann, der die Julia einst mit seinem Kraulen im Wöhrsee zum Eisschwimmen animiert hat, Christof Wandratsch. Julia Wittig sagt, sie profitiere auch im Alltag vom Eisschwimmen. Sie friert weniger im Winter, sei seltener krank – und öfter happy, denn „Eisschwimmen macht glücklich“.
„Eisschwimmen – Wie du dich körperlich und mental richtig vorbereitet und deine Grenzen überwindet“ ist im November 2021 im riva Verlag erschienen. Das Buch kostet 22 Euro.