Donnerstag, 25. April 2024

Warum jetzt die beste Zeit fürs Freiwasser ist

Wettkämpfe schwimmen bei einer Wassertemperatur von deutlich weniger als fünf Grad? Was für eine Schnapsidee, dachte ich damals, vor rund fünf Jahren. Dann haben mir die Veranstalter einen Startplatz geschenkt für die ersten Ice Swimming Aqua Sphere German Open. Und ich hab’s halt probiert. 25 Meter Freistil im Wöhrsee in Burghausen waren kein Problem. 50 Meter Brust auch nicht.

Aber die Typen, die 500 Meter oder sogar 1.000 Meter gekraut sind, die hab ich für verrückt gehalten – allerdings auch ein bisschen bewundert und beneidet. 1.000 Meter bei zwei oder drei Grad? Verrückt. Ja, schwimmverrückt – das sage ich heute. Ich hab mich langsam ran getastet an die Kälte und an die längeren Strecken. Seit 2015 schwimme ich ständig im Freiwasser, im Sommer und im Winter. Im Neckar und anderen Flüssen. In allen möglichen Seen. In der Nordsee vor Sylt. Egal wo. Kaltes Wasser gibt es ab Oktober ja fast überall.

30 Minuten bei 9 Grad

Zurzeit bin ich mehrmals die Woche im Meer. Das Wasser am Hörnumer Strand hat inwischen nur noch neun Grad. Zweistellige Temperaturen sind für mich mittlerweile vergleichsweise warm. Ich bleibe gut eine halbe Stunde im Meer, schwimme im hüfttiefen Wasser, könnte mich notfalls also hinstellen und zurück laufen an den Strand. Ich lasse mich einmal im Jahr beim Kardiologen durchchecken, mache immer vor dem Start in Eis-Wettkampf-Saison ein Belastungstest-EKG. Meine Ärzte sind zufrieden, sie haben keine Bedenken. Und ich bin auch zufrieden, speziell in diesem merkwürdigen Jahr für Schwimmer.

In diesem blöden Corona-November sind die Bäder mal wieder geschlossen. Was also tun? Wo trainieren? Das fragen sich viele Schwimmer, die eher nicht im Freiwasser zuhause sind, die bis dato jedenfalls nicht draußen geschwommen sind, wenn die Temperaturen sinken. Viel wagen sich jetzt erstmals in die Seen, in die Flüsse und ins Meer. Notgedrungen. Schwimmen ist ihr Lebenselixier. In der Facebook-Gruppe „Bist Du heute ihn geschwommen“ wird fast täglich nach Tipps gefragt: Wie kann ich mich an kaltes Wasser gewöhnen? Woher bekomme ich einen guten Neoprenanzug? Wer begleitet mich auf meinen ersten Ausflug in kalte Wasser?

DSV-Arzt rät ab

Geht jetzt nicht ins Freiwasser, viel zu kalt, viel zu gefährlich. Das sagt – knapp zusammengefasst – der Sportmediziner und Mannschaftsarzt der DSV-Freiwasserschwimmer, Alexander Beck. In einem Gespräch mit der Tageszeitung „Die Welt“ hat Beck kürzlich eindringlich gewarnt: „Freiwasserschwimmen jetzt im Lockdown? Nein, ein No-Go.“ Auch nicht mit Neo. Selbst für erfahrene Schwimmer, die mit offenen Gewässern vertraut sind, gelte dies.

Die Routiniers antworten mit einem Augenzwinkern: Einspruch, Euer Ehren! Und dann erklären sie, warum Freiwasser jetzt womöglich doch eine ganz gute Idee sein könnte. Denn es hilft ja nichts: Die Leute wollen schwimmen.

WOW-Art Christof Wandratsch ist Deutschlands bekanntester Eisschwimmer.

Angefangen mit zwei Minuten Brust

Christof Wandratsch ist der deutsche Mister Eisschwimmen. „Wandi“ hat schon alle möglichen und unmöglichen Wettkämpfe gewonnen. Früher, sagt er, sei er alles andere als ein Freund von niedrigen Temperaturen gewesen. Er habe im Herbst 2013 in einem kalten See angefangen mit dem Eisschwimmen. „Zwei Minuten Brust, Kopf über Wasser, ich war total happy.“ Mehr war zunächst nicht drinnen. Sein Ziel war kühn: die WM im März 2014 in Rovanjemi in Finnland, bei minus 15 Grad Lufttemperatur und null Grad Wassertemperatur. Der Wandi hat sein Ziel erreicht: Der Newcomer hat in Finnland tatsächlich den Titel über 450 Meter geholt. Erst im Dezember – also drei Monate vor der WM – sei es ihm allerdings gelungen im Eiswasser normal zu kraulen, mit Kopf unter Wasser.

Sobald die Temperaturen im einstelligen Bereich seien gelte für Einsteiger diese Faustregel: eine Minute pro Grad Wassertemperatur. Und, ganz wichtig: „immer auf seinem Körper hören, auch wer mit Neo schwimmt sollte es nicht übertreiben.“ Wenn möglich lieber täglich kurz ins Wasser gehen als einmal pro Woche länger schwimmen „und danach hat man die Schnauze voll vom kalten Wasser“. Öfter kurz sein auch perfekt zum Abhärten, „was ja in Corona-Zeiten wichtig ist“. Viele Schwimmer, sagt Wandratsch, hätte ihre Freibadsaison ja eh verlängert, „daher ist der Umstieg ins Freiwasser jetzt leichter als in diesem Corona-Frühjahr als viele panisch aus der Hallenbadsaison in die Seen strömten“. Eisschwimmen sei eine „sportliche Extremsportart“, wichtig seien Ohrstöpsel damit kein kaltes Wasser in den Gehörgang kommt, eine Bademütze, damit der Kopf warm bleibt, und eine Schwimmboje.

Auf den Körper hören

Conny Prasser schwimmt auch schon seit ein paar Jahren im Eiswasser und sagt: „Vorausgesetzt man hat keine Herzkreislaufkrankheiten ist Schwimmen im kalten Wasser ungefährlich.“ Es sollten halt die gleichen Regeln wie für jedes Freiwasserschwimmen eingehalten werden: niemals allein schwimmen, immer mit Boje, möglichst in Ufernähe. Allen Neulingen empfiehlt sie: „Beginnt JETZT! Wartet nicht, bis das Wasser weniger als fünf Grad kalt ist.“ Wassertemperaturen zwischen acht und zwölf Grad seien „ideal“, um sich an das kalte Wasser zu gewöhnen. „Geht es behutsam an, hört auf Euren Körper. Natürlich fühlt sich das Wasser ungewohnt kalt an, eventuell sticht es auch schon wie Nadeln oder die Hände tun weh. Akzeptiert das einfach. Schwimmer, insbesondere Triathleten sind ja normalerweise Schmerzen gewohnt. Gebt dem Körper Zeit zum Eingewöhnen. Atmet tief und langsam. Schwimmt langsam los und schaut, wie sich das Kälteempfinden von Minute zu Minute verändert.“

privat Conny Prasser liebt kaltes Wasser.

Spätestens nach fünf oder zehn Minuten gewöhne sich der Körper an das kalte Wasser. Wer mit Neo schwimme, womöglich auch mit Neo-Haube, mit Handschuhen und Füßlingen, könne länger im Wasser bleiben. Bei rund zehn Grad sollten mit Neo gut 30 Minuten zu machen sein. Aber auch kürzere Einheiten seien effektiv. Gerade weil bei Kälte die Muskeln nach und nach zumache, sei man gezwungen, sich permanent auf die Technik zu konzentrieren. „Wer macht das schon ständig in der Halle?“ Toller Nebeneffekt des Eisschwimmes: „Man verträgt auch im Frühjahr und im Sommer kühles Wasser viel besser als bisher.“

Martin Tschepe
Martin Tschepehttp://www.bahn9.de/
Martin Tschepe ist freier Autor, Swimguide, Freiwasser- und Eisschwimmer des SV Ludwigsburg.

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1 Kommentar

  1. Mein erstes Eisschwimmen war am 1.1.2017 und dauerte eine knappe Minute. Weiter habe ich es noch nicht gebracht, und sportliche Ambitionen habe ich sowieso nicht, weil ich ein sehr schlechter Schwimmer und absoluter Sportmuffel bin. Dennoch einige Anmerkungen.
    1.) Eisschwimmen findet bei mir immer nur in Naturgewässern statt. Auch meine ersten zwei Versuche (bis zu 1 Minute bei 4°C) machte ich in einem kleinen Natursee, und zwar ganz allein und obendrein nachts, weil ich keine Lust auf Zuschauer und dumme Fragen hatte. Ich blieb natürlich ganz dicht am Ufer, wo ich noch stehen konnte. Eine Minute im Eiswasser halte ich für völlig ungefährlich.
    2.) Auf das Körpergefühl würde ich nicht viel geben. Mein Körper schreit nach einer Minute „geh raus, geh raus!“ und ich will versuchen, das zu ignorieren. Nach allem, was ich gelesen habe, tritt das Hauptproblem erst NACH dem Eisschwimmen auf: wenn die Adern sich wieder weiten und das kalte Blut aus den Gliedern das Innere des Körpers unterkühlt. Das kann das Körpergefühl aber nicht im voraus wissen. Wenn man dabei seine Grenzen überschreitet, ist es bereits zu spät. (Falls ich da falsch liege, bitte ich um Korrektur.) Mir ist schleierhaft, wie Natalia Avseenko nach den über 10 Minuten unter dem Eis den Rewarming Death vermeiden konnte.
    3.) Das Nadelstechen auf der Haut geht in Sekunden vorüber. Nach meiner Erfahrung ist es das große Geheimnis des Eisschwimmens, dass man die Kälte kaum noch spürt, weil die Hautnerven in Sekundenschnelle von der Kälte betäubt werden. Ich finde Temperaturen um die 10 oder 12°C am unangenehmsten, weil dabei die Betäubung langsamer einsetzt.
    4.) Umso schlimmer die Schmerzen in den Fingern, besonders beim Aufwärmen. Ich könnte heulen vor Schmerzen. Deshalb bringe ich immer warmes Wasser mit, um nach dem Schwimmen die Hände aufzuwärmen, noch bevor ich mich abtrockne. Nach ein paar Minuten beginnt kaltes Blut aus den Armen in die Finger zu strömen, dann ist ein weiteres Handbad fällig. Geht es anderen ähnlich oder bin ich extrem empfindlich?
    5.) Der Sinn von Neopren und Handschuhen erschließt sich mir nicht. Ist das wirklich noch Eisschwimmen?

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