Unermüdlich leisten die Helferinnen und Helfer der DLRG ihren Dienst: auf den Wachtürmen an Nord- und Ostsee und vor allem in der Schwimmausbildung. Und das seit 110 Jahren. Ein Rückblick.
28. Juli 1912. Ein lauer Sommerabend in Binz auf der Insel Rügen. Hunderte Badegäste drängen sich auf der 800 Meter langen Seebrücke. Sie flanieren auf den Holzdielen und sehen den zahlreichen Ausflugsdampfern zu. Als gegen 18:30 Uhr der Bäderdampfer „Kronprinz Wilhelm“ anlegen will, passiert das Unglück: Die Anlegestelle am Brückenkopf bricht zusammen. Mehr als 100 Menschen stürzen ins Wasser – die meisten von ihnen können nicht schwimmen. Matrosen eines in der Nähe liegenden Kriegsschiffs der Kaiserlichen Marine eilen zu Hilfe. Ihnen ist es zu verdanken, dass viele Verunglückte gerettet werden. Doch für 16 Menschen, zwölf Erwachsene und vier Kinder, kommt jede Hilfe zu spät. Sie ertrinken in der sommerlichen Ostsee, nicht weit entfernt vom rettenden Strand.
Rettung und Wiederbelebung
Im Kaiserreich konnten nur zwei bis drei Prozent der Bevölkerung schwimmen, lauten Schätzungen, und noch vkiel weniger waren in der Lage, andere vor dem Ertrinken zu retten. Fast täglich berichteten die Zeitungen über Ertrunkene – aber anders als andere Unglücke blieb Binz im Bewusstsein der Öffentlichkeit und führte zu entscheidenden Initiativen. So veröffentlicht der „Deutsche Schwimmer“ – das amtliche Organ des Deutschen Schwimm-Verbands – genau ein Jahr nach dem Unglück den Aufruf zur Gründung der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft. Wichtigstes Ziel der DLRG sollte sein: „Eine weiteste Verbreitung sachgemäßer Kenntnisse und Fertigkeiten in Rettung und Wiederbelebung Ertrinkender herbeiführen“. Am 19. Oktober 1913 findet die Gründung der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft im Saal des Hotels „De Prusse“ in Leipzig statt. Ende des Jahres zählt die neu gegründete Gesellschaft bereits 435 Mitglieder.
In den 20er-Jahren nimmt sich die DLRG nicht nur der Wasserrettung an, sondern fördert auch den Schulschwimmunterricht. Gemeinsam mit dem Deutschen Schwimm-Verband (DSV) und dem Schwimmausschuss des Dresdner Turnlehrervereins wird die Schrift „Massen-Schwimmunterricht in Schulen und Vereinen“ herausgegeben. Eine gigantische Aufgabe – bei 95 Prozent Nichtschwimmern in der Bevölkerung. Doch die DLRG wächst schnell: 1922 hat sie bereits 10.000 Mitglieder und 10.701 Prüfungen im Rettungsschwimmen abgenommen.
Zelte für Wachgänger
Als es immer mehr Rettungsschwimmer gibt, werden auch die ersten Rettungsstationen eingerichtet. Wachgänger müssen aber mit Zelten Vorlieb nehmen, erst einige Jahre später werden feste Häuser wie zum Beispiel in Wiesbaden-Schierstein gebaut. Zur flächendeckenden Absicherung der Strände an Nord- und Ostsee kommt es erst Anfang der 60er-Jahre.
Während der Zeit des Nationalsozialismus machen die Machthaber auch vor der DLRG nicht halt: 1933 erfolgte die Eingliederung in Reichsbund für Leibesübungen, auf der Jubiläumstagung zum 25-jährigen Bestehen im Mai 1938 wird die Gesellschaft in Deutsche Lebens-Rettungs-Gemeinschaft umbenannt. Mit der Schwimmausbildung geht es dennoch voran. Bis 1942 hat die DLRG fast eine Million Rettungsschwimmer ausgebildet. Die Zahl der tödlichen Ertrinkungsfälle ist seit 1913 um etwa ein Drittel zurückgegangen.
Nach eignen Angaben hat die DLRG von 1950 bis heute etwa 23 Millionen Schwimmprüfungen und über fünf Millionen Rettungsschwimmprüfungen abgenommen. Die ehrenamtlichen Helfer leisten pro Jahr etwa 8 Millionen Stunden freiwillige Arbeit. Rund 2,5 Millionen Stunden entfallen auf die Überwachung von Badestellen und damit auf die Sicherheit von Badegästen und Wassersportlern. 2023 verzeichnet die DLRG 578.834 Mitglieder.
Die Zeit des Wiederaufbaus
In den Jahren des Wiederaufbaus beginnt auch die DLRG – zumindest in den drei westlichen Besatzungszonen – ihre Arbeit wieder aufzunehmen. Auf dem Gebiet der späteren DDR übernimmt diese Aufgabe ein neu gebildeter Wasserrettungsdienst des Deutschen Roten Kreuzes (heute Wasserwacht). In den 1950er-Jahren führt die DLRG den Jugendschwimmpass ein und arbeitet auf internationaler Ebene in der „Fédération Internationale de Sauvetage“ (FIS) mit. 1959 richtet die Rettungsorganisation in Wiesbaden erstmals die Internationalen Rettungswettkämpfe der FIS aus. Heute trägt der Weltverband den Namen International Lifesaving Federation (ILF).
Charakteristisch für die Geschichte der DLRG ist, dass man sich in Debatten einmischt und an aktuellen Gegebenheiten orientiert: Als zunehmend Gastarbeiter nach Deutschland kommen, gibt die DLRG Baderegeln in verschiedenen Sprachen heraus. Wichtigstes Ziel der DLRG bleibt jedoch die Prophylaxe, also die Schwimmausbildung von Kindern. Denn wer gut schwimmen kann, muss später wahrscheinlich nicht gerettet werden. Schon im Kleinkinderschwimmen engagiert sich die DLRG und natürlich auch beim Schwimmenlernen für Schulkinder. Seit 1983 gibt es eine Tradition: Angefangen mit Bundespräsident Karl Carstens ist das deutsche Staatsoberhaupt Schirrmherr der DLRG. Derzeit ist das Frank-Walter Steinmeier.
Der massive Bau von Schwimmbädern in den 1960er- und 1970er-Jahren, die Gründung vieler DLRG-Ortsvereine und der unermüdliche Einsatz der DLRG-Schwimmlehrer schafft schließlich das, woran zu Beginn des Jahrhunderts nicht zu denken war: 90 Prozent der Bevölkerung kann Ende der 1980er-Jahre schwimmen. Doch diese Zahl heute nicht mehr aktuell. Den Freischwimmer besitzen nur gut 40 Prozent der Zehnjährigen. „Es sollten jedoch 100 Prozent sein“, fordert DLRG-Präsidentin Ute Vogt. „Dafür braucht es aber mehr Wasserflächen und qualifizierte Lehrkräfte sowie mehr politisches Engagement, um für beides die Voraussetzungen zu schaffen.“
Vorsorge statt Luxus
Grund für die Misere: die Veränderung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in den vergangenen Jahren. Öffentliche Bäder schließen, die für die Schwimmausbildung nutzbare Wasserfläche wird knapper. Dabei soll Schwimmen kein Luxus wie Anfang des 20. Jahrhunderts sein, sondern eine lebensrettende Vorsorgemaßnahme für jeden, der sich am oder im Wasser befindet.