Der Extremschwimmer und UN-Ehrenbotschafter packt auch die letzte, anspruchsvollste Etappe seiner Wattenmeer-Odyssee von Amrum bis nach Hörnum auf Sylt.
Auf diesen Mann ist halt Verlass. André Wiersigs Team hatte angekündigt, dass der Extremschwimmer und Ehrenbotschafter der UN-Meeresdekade gegen halb zwei am Nachmittag im Süden Hörnums ankommen würde. Gegen 13 Uhr steht sein Betreuer Erik Eggers an der Hörnumer Südspitze und hält über sein Smartphone Kontakt zu dem Boot, das den 52-jährigen Sportler seit seinem Start vor ziemlich genau einer Stunde auf Amrum begleitet. Ein paar Minuten später ist André Wiersig bereits mit bloßen Augen vom Strand aus zu sehen. Er kämpft mit kabbeligen, fiesen Wellen. Noch mal eine Viertelstunde später macht Wiersig dann die letzten Kraularmzüge. Es ist schier unglaublich, aber wahr: Der Schwimmer steigt tatsächlich um Punkt 13:30 Uhr an der Hörnumer Odde aus der Nordsee. So, wie angekündigt. Er hat für die rund 7,5 Kilometer lange Schwimmstrecke nur eineinhalb Stunden benötigt.
Als Wiersig mit einem Grinsen im Gesicht am Strand steht, ist er nur ein klein bisschen aus der Puste. Der Mann ist happy, er hat es geschafft: ist als erster Mensch von der Nachbarinsel Amrum hinüber bis nach Sylt gekrault! Genau 100 Jahre nach Otto Kemmerich, dieser legendäre friesische Schwimmer hatte im Mai 1924 seinen ersten Versuch, von Insel zu Insel zu schwimmen, abbrechen müssen. Bei seinem zweiten Anlauf ist Kemmerich 1952 ertrunken. Auch diese tragische Geschichte hat André Wiersig im Kopf, als er von mehreren Fernsehteams und ein paar Schaulustigen an der Hörnumer Odde in Empfand genommen wird. Mit einer Engelsgeduld beantwortet der Schwimmer aus Paderborn ungezählte Fragen, er posiert für die vielen Kameras und Smartphones. André Wiersig erzählt von tückischen Strömungen zwischen den zwei Inseln, vom teilweise geschätzt nur etwa zehn Grad kalten Meerwasser und von Feuerquallen.
Schwimmen ist hier eigentlich verboten
Dieses Schwimmen sei sicherlich die anspruchsvollste Etappe seiner mehrtägigen sogenannten Wattenmeer-Odyssee gewesen, die ihn seit Pfingstmontag von Husum über Nordstrand, Pellworm, Hooge, Langeneß, Föhr und Amrum bis nach Hörnum geführt hat. Vergleichbare Verhältnisse habe er bis dato nur vor Neuseeland erlebt. Wiersig ist der einzige deutsche Schwimmer, der die Ocean’s Seven vollendet hat, zu diesem siebenteiligen Langstreckenschwimmen gehören unter anderem der legendäre Ärmelkanal, der Nordkanal zwischen Irland und Schottland und die Cookstraße zwischen der Süd- und Nordinsel Neuseelands. Niemand sollte das Schwimmen in der offenen Nordsee unterschätzen, mahnt Wiersig in Hörnum. Das Baden an der Odde sei völlig zu Recht verboten. Er und sein Team hatten Sondergenehmigungen für dieses eine Schwimmen von den Behörden bekommen. Die Auflagen waren streng.
Warum nur macht dieser Mann das? Immer wieder schwimmt Wiersig weite Strecken im Meer und auch mal im Hallenbad zu Trainingszwecken – 2021 etwa ist er von Sankt Peter-Ording bis nach Helgoland gekrault, knapp 19 Stunden lang und 53 Kilometer weit. Bei einem 24-Stunden-Schwimmen habe er mal rund 80 Kilometer geschafft. Es gehe ihm bei seinen Schwimmaktionen indes nicht in erster Linie um Rekorde, sondern darum, möglichst viele Menschen zu sensibilisieren: Der Lebensraum Meer ist akut bedroht. In den Gesprächen am Hörnumer Oststrand fallen Stichworte wie Plastikmüll und Klimawandel. Es sei ein Unding, dass die Menschen so viel aus den Meeren rausholen, sagt der UN-Botschafter, sprich: zu viele Fische fangen, und sie ihren Dreck reinwerfen in die Meere.
Und: wie geht’s nun weiter, Herr Wiersig? Ist der Mann ausgelaugt? Hat er Hunger nach den eineinhalb Stunden in der tosenden Nordsee? Zunächst mal, antwortet André Wiersig mit einem breiten Grinsen im Gesicht, wünsche er sich ein kühles Bier. Längerfristig habe er schon die nächsten Schwimmprojekte angeleiert. Im Winter wird er vor Australien mit Haien und Walen kraulen, außerdem plant er auf den Seychellen ein 50-Kilometer-Schwimmen.
Dieser Artikel erschien zuerst in der Sylter Rundschau.