Samstag, 20. April 2024

„Das Attentat stellte meine Wahrnehmung des Sports auf den Kopf“

Getty Images (Laureus) Ohne Kappe und Schwimmbrille, aber mit Schnauzer: Mark Spitz am 26. August 1972.

Heute vor 50 Jahren erlebte die Olympische Bewegung ihre größte Tragödie: Am frühen Morgen des 5. September 1972 dringen palästinensische Terroristen ins Olympische Dorf in München ein, überfallen die israelische Mannschaft und nehmen zehn Sportler und Funktionäre als Geiseln. Mit der Aktion versucht das Terrorkommando „Schwarzer September“ 328 in Deutschland und anderswo inhaftierte Mitstreiter freizupressen.

Das Vorhaben der Palästinenser scheitert ebenso wie die von Bundesinnenminister Genscher angeführten Verhandlungen und die am späten Abend versuchte Geiselbefreiung auf dem Fliegerhorst Fürstenfeldbruck. Am Ende eines schlimmen Tages sind 17 Menschen tot, darunter die Gewichtheber David Mark Berger, Zeev Friedman und Josef Romano, die Ringer Eliezer Halfin und Mark Slavin, die Kampfrichter Yakov Springer (Gewichtheben) und Yossef Gutfreund (Ringen), die Trainer Mosche Weinberg (Ringen), André Spitzer (Fechten), Amitzur Schapira (Leichtathletik) und Kehat Shorr (Schützen) sowie eine deutsche Polizistin.

Mark Spitz weiß zunächst von nichts

Das Drama von München, das die bis dahin so heiteren Spiele überschattete, ereignete sich nur einen Tag, nachdem in der Olympiaschwimmhalle Sportgeschichte geschrieben wurde. Denn am Abend des 4. September 1972 vollendete Mark Spitz seine unvergleichliche Siegessträhne mit sieben Goldmedaillen und sieben Weltrekorden. Der 22-jährige US-Amerikaner triumphierte in München über vier Einzelstrecken und gewann dazu dreimal mit der Staffel. Erst 36 Jahre später sollte ihn Michael Phelps in Peking mit acht Goldmedaillen übertrumpfen.

Mark Spitz' Goldserie 1972

DatumStreckeErgebnisZeitRekord
28.08.1972200 m SchmetterlingGold2:00,70 minWeltrekord
4 x 100 m FreistilGold3:26:42 minWeltrekord
29.08.1972200 m FreistilGold1:52,78 minWeltrekord
31.08.1972100 m SchmetterlingGold0:54,27 minWeltrekord
4 x 200 m FreistilGold7:35,78 minWeltrekord
03.09.1972100 m FreistilGold0:51,22 minWeltrekord
04.09.19724 x 100 m LagenGold3:48,16 minWeltrekord

In einem ausführlichen Interview mit der Laureus Stiftung hat sich Spitz an die Spiele 1972 erinnert. Darin sagt der heute 72-Jährige: “Keine 24 Stunden nach dem Gewinn der siebten Goldmedaille wurde ich von Verwirrung und Entsetzen erfasst. An diesem Tag verwandelte sich das größte Sportereignis in ein Massaker und stellte meine Wahrnehmung des Sports auf den Kopf. Es hat 50 Jahre gedauert, bis ich wirklich sagen kann, dass ich die wahre Inspiration und Kraft des Sports verstanden habe.“

Versteckt auf der Rückbank zum Flughafen

Am Vormittag des 5. Septembers 1972 sitzt Spitz bei einer aus heutiger Sicht surrealen Pressekonferenz. Während nur wenige Hundert Meter entfernt israelische Sportler um ihr Leben fürchten, soll der Superstar der Spiele über seine Erfolge sprechen. Das jedenfalls glaubt Spitz, als er vor den anwesenden Journalisten Platz nimmt. Er erinnert sich: „Wir kamen in die Pressekonferenz und wussten von nichts. Es gab keine einzige Frage zum Schwimmen. Alle wollten wissen, was wir gesehen oder gehört hätten. Und wir wussten gar nichts.“

Nach der Pressekonferenz geht Spitz zurück ins Olympische Dorf und verfolgt die weiteren Ereignisse im Fernsehen. Dabei hört er, wie die TV-Kommentatoren spekulieren, ob er bereits ausgeflogen worden sei. Schweden und Italien sind im Gespräch, schließlich könnte Spitz als Jude selbst Ziel eines Anschlags werden. Doch erst am Nachmittag verlässt der Sportler die bayerische Hauptstadt. „Mein Trainer und ich sollten uns auf der Rückbank eines Autos verstecken und man legte eine Decke über uns. Nach fünf Minuten durften wir uns aufsetzen. Man fuhr uns zum Flughafen, wo wir in eine Maschine nach London stiegen.“

Laureus Mark Spitz im Jahr 2022.

„Es war eine fürchterliche Tragödie“

Am nächsten Tag erfuhr Spitz von einem Wachmann, was in der Nacht in München passiert war. Dass alle Geiseln und eine Polizistin tot seien. Bevor er um die Mittagszeit zurück in die USA fliegen konnte, hatte er noch einen Termin. „Es musste alles sehr schnell gehen, denn ich war mit dem Fotografen Terry O’Neil verabredet. Bei dem Shooting entstand das berühmte Foto mit den sieben Goldmedaillen.“

Dreizehn Jahre später konnte Spitz in Israel Hinterbliebene des Attentats von München treffen. Ein prägendes Ereignis, wie er heute sagt. „Es war eine fürchterliche Tragödie, nicht nur für die Athleten, sondern ganz besonders für die Familien und für die gesamte Olympische Bewegung. Wir reden bis heute darüber.“

Die ganze Geschichte gibt es hier bei der Laureus Stiftung.

Peter Jacob
Peter Jacob
Mit sechs hieß es für den kleinen Peter schwimmen lernen - falls er mal ins Wasser fällt. Inzwischen ist er groß und schwimmt immer noch jede Woche. Mal mehr, mal weniger, meistens drinnen und manchmal draußen. Und immer mit viel Spaß und Leidenschaft.

Verwandte Artikel

- Anzeige -

Letzte Artikel