Weltrekorde, packende Duelle und ein 84-Jähriger, der für die Eismeile trainiert: Die Eis-WM verbindet Kurioses und Spitzensport. Auch der deutsche Mister Eisschwimmen trumpft auf.
Tag vier der WM in Molveno beginnt mit 100 Meter Freistil – und mit einem beeindruckenden Senioren-Schwimmer. Der 84-jährige Michael Donaldson schwimmt diese Strecke in 3:20 Minuten. Das ist nicht schnell, doch dann erzählt Josef Köberl, der IISA Präsident Österreich, dass dieser Mann aus den USA demnächst die Eismeile schwimmen will. 1.609 Meter weit, bei weniger als fünf Grad Wassertemperatur. Unglaublich. Kurz nach dem US-Rentner ist der Österreicher Markus Rogan dran. Der Olympiaschwimmer, Zweiter der Spiele in Athen von 2004, legt mit 58,5 Sekunden eine Topzeit hin. Immer mehr (ehemalige) Spitzenschwimmer entdecken das Eiswasser für sich, gut so, schließlich wollen der IISA-Präsident Ram Barkei und seine Mitstreiter, dass Eisschwimmen möglichst bald (winter)olympisch wird.
Ein Pole hat bei den 100 Metern Freistil seinen großen Auftritt, er schwimmt Weltrekord … zumindest laut Anzeigetafel, 50 Sekunden. Diese fabelhafte Zeit wird bald korrigiert, auf 1:27 Minuten. Aber, sagt der Schwimmer und lacht: „Ich habe ein Foto mit der angezeigten Zeit.“ Ein Rollstuhlfahrer aus Israel wird Letzter in seinem Lauf – und bekommt den meisten Applaus. Dann der Auftritt von Keaton Jones: Der US-Amerikaner schwimmt 53,7 Sekunden, wohlgemerkt ohne Startsprung und Rollwende. Das ist Eisschwimmen, ein Sport der Kontraste.
Tipps von Mister Eisschwimmen
Auch wenig später über 50 Meter Schmetterling liefern viele Schwimmer Topzeiten ab: Keaton Jones benötigt nur 27 Sekunden. Der Mann lebt in Kalifornien und erzählt nach seinem Vorlauf mit einem Grinsen, dass er nie in eiskaltem Wasser trainiert. Warum? Ganz einfach: dort, wo er wohnt, gibt’s keins. Christof Karow gewinnt seine Altersklasse in 29,5 Sekunden. Und Steffi Palle schwimmt AK-Weltrekord – der hält geschätzt eine Minute, dann sind zwei Konkurrentinnen noch schneller.
Mein Wettkampf-Tag beginnt gegen 13 Uhr – auch mit 50 Metern Schmetterling. Ich habe wieder Glück, denn zwischen 10 und 15 Uhr haben die Schwimmer Sonne – und mit Sonne schwimmt es sich im eiskalten Wasser viel angenehmer als im Schatten. Nicht-Eisschwimmer können’s kaum glauben: Ein Grad Wassertemperatur kann den Unterschied machen, nicht bei den Kurzstrecken, wohl aber bei den 500 und den 1.000 Metern. Der deutsche Mister Eisschwimmen, Christof Wandratsch, hat mir zu Beginn meiner Zeit im Eiswasser vor rund zehn Jahren mit einem Augenzwinkern erklärt: Ein Grad Wassertemperatur, das sei gefühlt doppelt so kalt wie zwei. So ist es! Meine Zeit über 50 Meter Schmetterling reicht für Platz drei in der Altersklasse, mein Medaillensatz ist damit komplett, cool.
Amateure und Profis gemeinsam im Pool
Während die Damen ihre 1.000 Meter schwimmen, machen wir uns aus dem Staub. Mein Schwimmfreund Lars, seine Frau Sandy und deren Sohn Finn fahren mit einer Seilbahn hoch hinaus, gehen ein bisschen im Schnee spazieren und haben gelegentlich das Wettkampfbecken im Blick. Aus der Ferne ist sogar der WM-Sprecher zu hören. Oben auf dem Berg treffen wir viele andere Eisschwimmer. Es ist kaum möglich, in und um Molveno herum dieser coolen WM zu entkommen.
Später diese Erkenntnis: Auf Elke ist Verlass. Elke Ortloff wird wohl – mal wieder – eine der eifrigsten Medaillenlieferantinnen des Teams Deutschland. Sie fischt regelmäßig Gold aus den Wettkampfbecken. Auch diesmal. An diesem Tag vier der WM strahlt am Nachmittag wieder die Sonne vom tiefblauen Himmel. Azzurro. Und Elke Ortloff (AK70) holt ihr nächstes Gold, über die 1.000 Meter Freistil! Im Endspurt hat Elke noch ein paar (deutlich jüngere) Konkurrentinnen angehängt. Cheapau! Diese Mammutstecke trauen sich ganz viele Männer und Frauen gar nicht zu. Andere hingegen sagen: Echte Eisschwimmer seien nur jene, die sich auf die Langstrecke wagen. Am Beckenrand steht jetzt eine Sauna, die viele Athletinnen und Athleten speziell nach den 500 Metern am ersten Tag vermisst hatten. Die 1.000-Meter-Schwimmerinnen sind happy, dass sie jetzt einen Ort zum Aufwärmen haben.
Bammel vor den 1.000 Metern
Am Abend die Finals: Alisa Fatum-Böker wird Zweite über 100 Meter Freistil. Keaton Jones schwimmt Weltrekord über 100 Meter Freistil, 53,1 Sekunden. Wow! Wenig später ist er gleich nochmal im Wasser, 50 Meter Schmetterling. In der 4×50-Meter-Lagenstaffel legt Team Deutschland I vor, 1:56 Minuten. Schlussendlich reicht diese Zeit für Platz fünf.
Ich bin bei allen Finals am Beckenrand, in Gedanken aber gelegentlich schon bei morgen: dann stehen auch für mich die verdammt langen, kalten 1.000 Meter auf dem Programm – für die Topschwimmer, aber auch für mich. Rory Fitzgerald, ein schneller Brite, der oft seine Altersklasse gewinnt, schreibt auf Facebook, er wolle nur „überleben“. Ich schließe mich an.
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