Der Lake Memphremagog ist ein lang gezogener See im Norden Vermonts. Wer ihn durchquert, legt nicht nur 40 Kilometer zurück, sondern schwimmt auch in zwei Ländern. Hier berichtet der Berliner Langstreckenschwimmer Matthias Kaßner von seinem Abenteuer.
von Matthias Kaßner
Die 40 Kilometer lange Querung des Lake Memphremagog von Newport in Vermont (USA) nach Magog in Québec (Kanada) war früher Teil der Fina-Worldcup-Serie. Schwimmerinnen aus dieser Zeit wie Rose Rice oder Kathrin Lammers hatten mir begeistert von der Schönheit des Sees erzählt. Viele Jahre später gründete Phil White die Open-Water-Organisation „Kingdom Swim“, mit der er eine Vielzahl unterschiedlicher Schwimmen im Lake Memphremagog anbietet, darunter diverse Winterschwimmen und als längstes Schwimmen die 40-Kilometer-Distanz „In Search Of Memphre“. Namensgeber des Schwimmens ist ein Seeungeheuer namens Memphre, das im Wasser angeblich sein Unwesen treibt.
Das Einzigartige an diesem Ultraschwimmen ist, dass das erste Viertel im US-Bundesstaat Vermont liegt und man dann über die Grenze nach Kanada schwimmt. Jedes Event muss vorab den kanadischen Behörden mit allen Teilnehmern gemeldet sein. Für den Fall einer Kontrolle hat die gesamte Crew ihre Reisepässe an Bord. Das Schwimmen startet kurz nach Mitternacht und führt durch eine großartige Natur. Der See ist zumindest in der ersten Hälfte recht einsam, von dichten Wäldern umgeben, man sieht Berge im Hintergrund, kleine Örtchen am Ufer und viele bewaldete Inseln.
„Schaffe ich diese Distanz?“
Meine schwimmbegeisterten Freunde aus Vermont hatten mich schon länger eingeladen, mitzumachen und so entschloss ich mich in diesem Jahr, das Sportliche mit einem Urlaub in Vermont und Kanada zu verbinden. Der dreitägige Slot für das Schwimmen sollte vom 27. bis 29. August gehen und da ich schon etwas früher anreiste, konnte ich während langer Autofahrten einen Eindruck von den Ausmaßen des Sees und vom Ausmaß des Unterfangens gewinnen. Für meinen Kopf war das wohl eher suboptimal, denn je öfter ich die Uferstraße entlangfuhr, desto unsicherer wurde ich, ob ich die gewaltige Distanz tatsächlich stemmen könnte.
Laut Phil bot gleich der erste Tag des Slots die besten Bedingungen und so starteten wir drei Schwimmer mitten in der Nacht vom 26. auf den 27. August im Abstand von jeweils zehn Minuten. Für mich ging es um 0:10 Uhr über eine glitschige Bootsrampe raus in die Nacht.
Die Probleme fangen an
Es war eigentlich eine schöne Nacht mit kühler Luft, ruhigem Wasser und einem hellen Sichelmond. Mir machen Schwimmen in der Nacht normalerweise nichts aus, aber diesmal kämpfte ich von der ersten Minute an gegen eine innere Stimme an, die mich wie ein Dämon bearbeitete. Ich war davon überzeugt, es nicht schaffen zu können und wollte immer wieder abbrechen. Es muss den beiden anderen ähnlich gegangen sein, und noch in der Nacht brach eine andere Schwimmerin – die eigentlich auf Rekordkurs lag – aus gesundheitlichen Gründen ab.
Ich motivierte mich damit, zumindest bis zum Tagesanbruch weiter zu schwimmen und setzte mir, nachdem ich das erreicht hatte, immer wieder neue Etappenziele. Allerdings gingen noch vor Sonnenaufgang die Zipperlein los. Heftige Magenprobleme erledigten sich, indem ich mich übergab. Als Nächstes folgten Probleme beim Wasserlassen, weshalb ich jedes Mal lange Pausen einlegen musste, um mich irgendwie in dem kalten Wasser zu entspannen. Zu allem Überfluss kam noch äußerst unangenehmes Sodbrennen dazu, dass ich auch mit Medikamenten nicht in den Griff bekam. Kurz nach Tagesanbruch kletterte bereits der zweite Schwimmer unterkühlt und frustriert auf sein Begleitboot. Später sagte er mir, dass auch er in dieser Nacht mit seinen Dämonen gekämpft habe.
Nicht aufgeben!
Und dennoch konnte ich zum Glück die wundervolle Natur bewundern. Morgens blickten wir auf nebelumhüllte Berge, später schien die Sonne, der See wurde etwas weiter und immer wieder passierten wir wunderschöne bewaldete Inseln. Später passierten wir ein beeindruckendes Kloster auf einem Hang und ich sah Schwärme von Kormoranen und einige Seetaucher.
Auf der zweiten Hälfte des Schwimmens ließen die mentalen Probleme etwas nach, dafür nahmen die physischen weiter zu. Ich hangelte mich weiter von Etappenziel zu Etappenziel. Das ganze Schwimmen bekam ich einfach nicht in meinen Kopf. „Nur noch bis zum Ausläufer der Bucht!“, sagte ich mir. „Schwimm noch bis zu dieser Insel … dann kannst du immer noch aufgeben … nur nicht jetzt!“ Es funktionierte.
Auf den letzten zehn Kilometern bekam ich vom vielen Sodbrennen einen Schluckauf (der bis zum nächsten Morgen anhielt). Das Kraulschwimmen gestaltete sich dadurch als sehr trickreich, da ich nicht immer die voll Luft bekam. Irgendwie ging aber auch das vorbei und es lenkte mich auch von den letzten Kilometern ab, die sich schier endlos in die Länge zogen. Begleitet von meiner Schwimmfreundin Paula Yankauskas erreichte ich dann aber doch nach 19:47 Stunden endlich den kleinen Strand von Magog in Kanada.