Donnerstag, 18. April 2024

Kunstschwimmen anno 1985 | Wir waren der Zeit voraus 

Synchronschwimmen wird 2024 für Männer olympisch. Blödsinn, sagen Machos. Endlich, sagen andere – auch unser Autor. Er hat schon Mitte der 1980er zusammen mit seinen Kumpels Figuren ins Wasser gezaubert.

Martin Tschepe Der Autor (ganz links) mit seiner Kunstschwimmgruppe.

Weihnachtsschwimmen des SV Ludwigsburg im Jahr 1985. Lange her, aber so gut in Erinnerung, als wäre es erst gestern gewesen. Zu fünft wagen wir damals etwas Unerhörtes. Fünf junge Männer heben das Bein im Wasser, legen Figuren, gehen mit Nasenklammer auf Tauchstation. Synchronschwimmen für Männer? Gibt’s doch gar nicht. Stimmt, gibt es damals eigentlich nicht – jedenfalls nicht in Wettkämpfen. Beim Ludwigsburger Weihnachtsschwimmen zeigen die Kinder, die Jugendlichen und auch ein paar Männer und Frauen der ersten Mannschaft vor Publikum, was sie im zu Ende gehenden Jahr gelernt haben. Schnell und schön schwimmen.

Bei diesem Weihnachtsschwimmen vor bald 40 Jahren stehlen wir den anderen ein klein bisschen die Show. Mit unserem Kunstschwimmen. Unerhört! Die Idee hat mein Vereinskumpel Claus Berger, der damals nicht nur schnell schwimmt, sondern auch ganz toll tanzt, experimentell, modern. Uschi Gemmrig, die Mutter von Elke, macht die Choreografie für unseren kleinen Auftritt, und ich stelle die Songs zusammen. „Männer“ von Herbert Grönemeyer zum Beispiel und „Hells Bells“ von AC/DC. Spätestens im ersten Training mit Uschi im Stadionbad Ludwigsburg vergeht uns das Lachen. Wir erkennen sofort: Kunstschwimmen ist mega anspruchsvoll, anstrengend.

Martin Tschepe Ein Stern aus Schwimmern.

Endlich wieder frische Luft!

Anlässlich der Meldung, dass Männer in zwei Jahren beim olympischen Synchronschwimmen mitmachen dürfen, kontaktiere ich alte Bekannte. Mein Freund Steffen Albrecht erinnert sich an „einen Riesenspaß“, aber auch an „die schwimmende Kette rückwärts, mit den Füßen des Hintermanns am Hals“, urplötzlich ziehen uns die Füße des Kumpels – ruckartig und ohne Vorwarnung – in die Tiefe, in eine schier unendlich lange Unterwasserphase, bis es nach einer gefühlten Ewigkeit wieder nach oben geht. Endlich wieder frische Luft! „Hätte durchaus olympisch werden können“, sagt Christian Weigl heute, der Mann auf unserem alten Schwarz-Weiß-Foto ganz rechts. Chris: „Man beachte das kerzengerade Bein!“ Die Zeit für Männerballette bei Olympia ist Mitte der 80er noch nicht reif. Leider. Wer weiß, was aus uns hätte werden können.

Martin Tschepe Gleich geht es los. Die Choreo beginnt schon am Beckenrand.

Wir freuen uns auf Paris 2024

Claus Berger, der tanzende Schwimmer, den die Lokalzeitung damals einen „jungen David Bowie“ nennt, sagt heute mit Blick auf unser legendäres Kunstschwimmen, das wir im Sommer 1986 bei einem Wettkampf in der Türkei (!) nochmals aufführten: „Wir brauchten keine One-Love-Binde, haben schon in den 80ern völkerverbindend unter der Bosporus-Brücke im Galatasaray-Schwimmbad die Gleichberechtigung gelebt und sind dafür herzlichst applaudiert worden, ganz ohne Werbekampagne, einfach mit Begeisterung, Freundschaft, Phantasie und mit Humor.“

Wir jedenfalls freuen uns auf die Synchro-Männer bei Olympia. Fragen uns allerdings: Weshalb dürfen bei der Premiere in Paris im Sommer 2024 nur zwei Männer je Achter-Team antreten?

Martin Tschepe
Martin Tschepehttp://www.bahn9.de/
Martin Tschepe ist freier Autor, Swimguide, Freiwasser- und Eisschwimmer des SV Ludwigsburg.

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