Donnerstag, 28. März 2024
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Chloë McCardel | “Der Ärmelkanal ist für mich wie ein langer Tag im Büro”

Seit 2009 reist die Australierin Chloë McCardel jedes Jahr von Sydney noch Dover, um durch den Ärmelkanal zu schwimmen. Nicht einmal oder zweimal, sondern so oft wie möglich. Im Ranking der Schwimmer mit den meisten Querungen liegt die 35-Jährige seit dieser Saison auf Platz zwei. Den erfolgreichsten Mann, Kevin Murphy, hat sie mit ihrer 35. Querung überholt (inzwischen sind es 37, Stand: Dez. 2020). Vor ihr liegt jetzt nur noch Alison Streeter, die „Queen of the Channel“, mit 43 erfolgreichen Ärmelkanalschwimmen.

Dieser Artikel erschien im Oktober in der SWIM 44. Dis Ausgabe finden Sie hier im Shop.

Chloë McCardel, Sie sind im Ärmelkanal schon weit mehr als 1.000 Kilometer geschwommen. Vermutlich kennen Sie hier jede Ecke. Nehmen Sie uns einmal mit zu einem Schwimmen. Wie schnell legen Sie los? Ich komme seit elf Jahren hierher, aber ich würde nicht behaupten, jeden Teil des Ärmelkanals zu kennen. Ich lerne immer noch dazu. Jedes Mal, wenn ich herkomme, habe ich andere Ziele. 2015 zum Beispiel schwamm ich erst drei Solos in sechs Tagen und sechs Wochen später ein langes Nonstop-Triple. Je nachdem, was ich vorhabe, ­schwimme ich unterschiedlich schnell

Wie war es damals? Bei den Solos wollte ich so schnell sein wie möglich. Mir war klar, dass es in der Saison nur diese eine Möglichkeit geben würde, eine Topzeit hinzulegen und vielleicht die beste Schwimmerin des Jahres zu werden. Dafür gibt es von der Channel Swimming Association (CSA) eine Goldmedaille, die 1.000 Pfund wert ist. Es wird kein Unterschied zwischen Frauen und Männern gemacht und so trete ich hauptsächlich gegen Männer an. Geht es um die Zeit, musst du jeden einzelnen Zug hart schwimmen und darfst nur ganz kurze Pausen machen. Als ich in Frankreich ankam, war ich völlig fertig. Aber es hatte gereicht.

Wie belohnen Sie sich für ein erfolgreiches Schwimmen? Meine Belohnung ist ein Nickerchen auf dem Boot zurück nach England. Dort gehe ich manchmal mit meinen englischen Freunden oder mit meiner Crew essen. Etwas Besonderes mache ich eigentlich nicht. Für die meisten Schwimmer ist der Kanal ein Lebensziel, aber ich schwimme im Durchschnitt viermal pro Saison. Es ist, als würde ich zur Arbeit gehen. Wie ein langer, harter Tag im Büro.

Chloë McCardel

Sie leben auf der anderen Seite des Globus. Wie kommt es, dass ausgerechnet der Kanal Sie gepackt hat? Als Teenager hatte ich die Idee, in einer Sache die Beste der Welt zu werden. Ich liebte Sport und versuchte mehrere Disziplinen. Im Marathonschwimmen war ich ziemlich gut. Weil der ­Ärmelkanal das Mekka des Open-Water-Schwimmens ist, wollte ich dorthin und eine gute Leitung abliefern. Das habe ich getan.

Wie haben Sie mit dem Schwimmen begonnen? Mit elf fiel mir auf, dass meine Freunde mehrere Bahnen in einem Pool schwimmen konnten, nur ich nicht. Ich hatte keine Ahnung, wie man richtig schwimmt, bin nur etwas im Wasser gepaddelt. Mir war das so peinlich, dass ich meine Mutter bat, mich für einen Schwimmkurs anzumelden. Damit fing alles an.

Sind Sie bei Wettkämpfen angetreten? Ich machte einen Kurs nach dem anderen und nach einem Jahr war ich im Wettkampfteam meines Clubs. Mit 14 und 15 nahm ich an den Australischen Jugendmeisterschaften teil. Außergewöhnlich talentiert war ich jedoch nicht, es reichte gerade für die Qualifikation. Kurz darauf hörte ich mit dem Leistungssport auf. Meine Eltern wollten, dass ich mich auf die Schule und meinen Abschluss konzentriere.

Einige Jahre später sind Sie als Extremschwimmerin durchgestartet und bis heute 36-mal durch den Ärmelkanal geschwommen. Die erfolgreichsten Männer haben Sie hinter sich gelassen. Die Frage liegt auf der Hand: Wollen Sie „Queen of the Channel“ werden und Alison Streeter überholen, die 43 Querungen auf dem Konto hat? Mit einem Sponsor im Rücken würde ich sofort und begeistert ja sagen. So muss ich ­sagen: Ich hoffe, dass ich es schaffe.

Chloë McCardel

Wie wichtig ist es Ihnen, etwas zu schaffen, dass niemand vor Ihnen erreicht hat? Es ist nicht so, dass ich unbedingt etwas machen muss, das vor mir noch keiner getan hat. Es geht eher darum, Grenzen zu verschieben. Physisch und psychisch. Zu sehen, wie weit der Mensch gehen kann. So wie 2014, als ich den Weltrekord für das längste Nonstop-Schwimmen aufstellte.

Damals legten Sie auf den Bahamas 124 Kilometer in 41 Stunden zurück. Für fast alle anderen Schwimmer eine ­unvorstellbare Leistung. Es sieht so einfach aus, wenn Sie schwimmen. Wie viel Training gehört dazu? Das höre ich immer wieder: Chloë, bei dir sieht der Kanal aus wie dein persönlicher Pool. Ich trainiere elf Monate im Jahr sehr hohe Umfänge. In der Vorbereitung schwimme ich die letzten zwei Monate vor der Abreise nach England zwischen 60 und 70 Kilometer in der Woche. Ich trainiere die meiste Zeit im Pool mit einer Wettkampfmannschaft.

Sie leben in Sydney. Gehört der berühmte Bondi Beach zu Ihren Trainingsrevieren? Nicht direkt Bondi, aber ganz in der Nähe. Ich schwimme oft im Ozean. Das ist wichtig für die Kaltwassergewöhnung.
Viele Langstreckenschwimmer werden seekrank, bekommen Schulterschmerzen oder müssen wegen Magenproblemen aufgeben. Bei Ihnen wirkt es, als könne Sie nichts aufhalten. Als ich 2013 versuchte, als erster Mensch 100 Meilen von Kuba nach Florida zu schwimmen, musste ich abbrechen, weil mich die Tentakel einer Würfelqualle erwischt hatte. Das Gift kann tödlich sein. Ich hatte Lähmungserscheinungen und die Schmerzen waren unbeschreiblich. Auf einer Skala von 1 bis 100 war das eine 100.

Im Kanal gibt es keine lebensgefährlichen Quallen. Was ist dort die größte Herausforderung für Sie? Die Kälte. Nicht so sehr bei einem Solo, das etwa zehn Stunden dauert. Doch bei einem Double oder Triple wird es richtig schlimm. Die Körpertemperatur sinkt und es kann zur Hypothermie kommen. Einmal musste ich ein Schwimmen deswegen abbrechen. Aber ich bin auch schon über Stunden mit Un­terkühlung geschwommen. Es gibt einen Punkt, an dem der Körper einfach ausschaltet. Das kommt ganz plötzlich. Da muss man vorher raus.

Auf unsere Kontaktanfrage antworteten Sie persönlich mit einer E-Mail. Haben Sie kein Team hinter sich, das sich um solche Aufgaben kümmert und Ihnen auch sonst unter die Arme greift? Ein Ärmelkanalschwimmen zu organisieren, bedeutet sehr viel Aufwand. Das meiste erledige ich selbst. Dazu gehören Planung, Organisation, Kommunikation mit den Piloten und der CSA, Buchen von Flügen und Hotels und die Pressearbeit. Beim Schwimmen bin ich auf eine Crew angewiesen. Der Pilot kümmert sich um den Kurs und den Funkverkehr und meine Begleiter reichen mir an einem Seil warme Flüssigkeiten mit viel Energie. Obwohl ich die meiste Logistik selbst mache und allein schwimme, ist ­Marathonschwimmen Teamsport.

Arbeiten Sie immer mit der gleichen Crew zusammen? Es gibt einen festen Kreis von Helfern, mit denen ich gern arbeite und die mich inzwischen ganz gut kennen. Aber nicht immer sind alle von ihnen verfügbar, weil sie auch andere Sportler betreuen. Dann muss ich rotieren. Meine Lieblings­piloten sind Reg und Ray ­Brickell, zwei Brüder. Ihr Boot ist die Viking Princess II.

Jeder Versuch kostet mehrere Tausend Euro. Wie finanzieren Sie Ihre Abenteuer? Es ist wirklich sehr teuer und zum Glück habe ich etwas finan­zielle Unterstützung. Darüber freue ich ich sehr. Den Rest zahle ich selbst mit meinem ­eigenen Business. Ich arbeite in Vollzeit als Coach und S­peaker.

Als Trainerin bereiten Sie andere Kanalschwimmer vor. Was ist schöner: Als Schwimmerin selbst die französische Küste zu erreichen oder einen Sportler oder eine Sportlerin bei einem erfolgreichen Versuch zu begleiten? Ich bin gern ein Teil der Crew. Dann müssen meine Schwimmer die ganze Arbeit leisten, während ich zusehe und sie anfeuere. Ich kenne sie dann etwa eineinhalb Jahre lang und wenn sie endlich ihr großes Ziel erreichen, ist das ein ganz besonderer Moment. Es erinnert mich jedes Mal daran, wie es war, als ich das erste Mal durch den Kanal geschwommen bin.

Eines Ihrer letzten Schwimmen fand nachts statt. Sie sind um 20 Uhr in England gestartet und waren um 6.40 Uhr im Ziel. Ist das nicht unheimlich? Die Bedingungen waren zu diesem Zeitpunkt gut, aber ich schwimme natürlich lieber am Tag, wenn die Lufttemperatur und die Wassertemperatur etwas höher sind. Scheint die Sonne, bin ich viel positiver. Die Zeit geht schneller vorbei und man hat das Gefühl, schneller zu schwimmen. Ich fühle mich tagsüber mehr verbunden mit dem Boot und kann die Gesichter meiner Crew erkennen. Nachts ist die ganze Zeit ein Scheinwerfer auf mich gerichtet. Sehen kann ich dann nichts.
Welche anderen Schwierigkeiten bringt die Dunkelheit noch mit sich? In der Gegend, wo ich normalerweise ankomme, sind sehr viele große Steine und die Brandung drückt einen gegen sie. Das kann sehr wehtun. Man darf nicht vergessen: Bis dahin bin ich stundenlang nur geschwommen und die Koor­dination fehlt.

Wegen der Corona-Pandemie hätten Sie bei Ihren Schwimmen fast in Quarantäne gemusst. Ja, das war stressig. Einen Tag vor dem Start gab es eine Ankündigung, dass Menschen, die von Frankreich nach England kommen, zwei Wochen in Quarantäne müssten. Ich fürchtete schon, mein Schwimmen absagen zu müssen. Doch dann hieß es plötzlich, wir würden gar nicht richtig in Frankreich einreisen und kämen auch nicht mit Menschen in Kontakt. Das ­alles hat mich sehr nervös gemacht. Zum Glück ist es gut ausgegangen.

Australier dürfen ihr Land derzeit nur mit einer Sondergenehmigung verlassen. Sie haben eine bekommen, weil Ihr Schwimmen von „nationalem Interesse“ ist. Hat das den Druck auf Sie erhöht? ­Eigentlich nicht. Ich habe das zunächst gar nicht richtig ernst genommen, mich nur über die Genehmigung gefreut. Erst als ich den Männerrekord gebrochen hatte und überall auf der Welt darüber berichtet wurde, dachte ich: Vielleicht ist es wirklich von nationalem Interesse. Die Menschen wollten endlich wieder gute Nachrichten hören.

Sie haben Ihre letzten Schwimmen genutzt, um auf Frauen aufmerksam zu ­machen, die häuslicher Gewalt ausgesetzt sind. Warum ­gerade jetzt? Zum einen liegt mir dieses Thema am Herzen, weil ich selbst davon betroffen war. Zum anderen zeigen ­aktuelle Untersuchungen der Vereinten Nationen, dass das Problem während des Lockdowns noch größer geworden ist. Mich beunruhigt das sehr. Ich wollte die Aufmerksamkeit nutzen, um Menschen eine Stimme zu geben, die selbst keine haben.

Haben Sie schon sportliche Pläne für die Zeit nach dem Ärmelkanal? Ich habe Ideen, aber dazu benötige ich Spon­soren. Im Moment denke ich darüber nicht nach. Ich bin voll auf den Kanal fokussiert.

Dieser Artikel erschien im Oktober in der SWIM 44. Dis Ausgabe finden Sie hier im Shop.

Peter Jacob
Peter Jacob
Mit sechs hieß es für den kleinen Peter schwimmen lernen - falls er mal ins Wasser fällt. Inzwischen ist er groß und schwimmt immer noch jede Woche. Mal mehr, mal weniger, meistens drinnen und manchmal draußen. Und immer mit viel Spaß und Leidenschaft.

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