Donnerstag, 18. April 2024

So geht’s | Die Erfolgspyramide des legendären Steven Munatones

Das Schwimmen in Freigewässern hat viele Facetten. Wer sich strategisch verbessern will, kommt mit der Erfolgspyramide weiter.

Jo Kleindl Leonie Beck schwimmt im Freiwasser (Archivbild).

Die Wettkampfleistung in einem Freiwasserrennen ist das Resultat zahlreicher Komponenten. Wer sich im Training nur auf einen Aspekt konzentriert, wird es schwer haben, vorn mitzuhalten. Zu groß sind die Ansprüche an Schwimm­geschwindigkeit, Ausdauer, Tech­nik und Taktik. Einen guten Überblick, worauf es im Freigewässer ankommt, bietet die Erfolgspyramide des Freiwasserschwimmens von Steven Munatones. Der US-Amerikaner war früher selbst im Open Water aktiv, wurde Trainer und machte sich dann auf der ganzen Welt einen Namen als Experte sowohl für Profirennen auf Olympianiveau als auch für extreme Solo-Abenteuer. Die Ocean‘s Seven gehen auf eine Idee Munatones zurück.

In seinem Buch „Open Water Swimming“ beschreibt er die Pyramide als grundlegende Trainingsphilosophie vieler erfolgreicher Athleten auf unterschiedlichen Distanzen. Welchen zeitlichen Umfang ­ambitionierte Schwimmerinnen und Schwimmer in die einzelnen Bereiche der Pyramide investieren sollten, ist individuell verschieden und abhängig von der Jahreszeit, ­dem Trainingszeitbudget und dem schwimmerischen Hintergrund.

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Das Fundament der Pyramide bilden die allgemeinen konditionellen Grundlagen, die jeder Sportler in unterschiedlicher Ausprägung für seine Disziplin benötigt. Sie bilden den Kern des Trainings und entwickeln die aerobe Kapazität und die Geschwindigkeit, ohne die beim Schwimmen fast nichts geht. Auf der nächsten Ebene fol­gen freiwasserspezifische Komponenten, die zwar oft weniger ­bekannt, aber dennoch unverzichtbar für eine gute Leistung sind. Dazu zählen wettkampfspezifisches Training, spezielles Open-Water-Techniktraining sowie die Freiwasserakklimatisierung. Die Spitze der Pyramide bildet die Aneignung taktischer Verhaltensweisen im Rennen. Damit ist nicht nur das Agieren und Reagieren bei bestimmten Rennsituationen im Pulk gemeint, sondern auch das Wissen um unterschiedliche und sich verändernde Umweltbedingungen und deren Auswirkungen auf die Schwimm­performance.

Ausdauer- und Tempotraining als Basis

Viele erfolgreiche Freiwas­serathleten legen ihre Trainings­kilometer überwiegend im Pool zurück. Rekordweltmeister Thomas Lurz war bekannt dafür, sogar ausschließlich im Becken seine Bahnen zu ziehen und lediglich für die Rennen, die er fast immer gewann, ins Freiwasser zu springen. Ganz ähnlich verhält es sich beim derzeit erfolgreichsten deutschen Freiwasserteam von Bernd Berkhahn in Magdeburg. Nur die 25- oder besser die 50-Meter-Bahn bietet optimale Voraussetzungen für ein gezieltes Training zur Steigerung der aeroben Fähigkeiten. Dabei werden Intervallsätze über kurze und lange Distanzen mit genau abgestimmten Pausen geschwommen. Die Zusammensetzung der Trainingsinhalte hängt vom anvisierten Ziel ab. Im Grundlagentraining stehen vor allem Aufgaben mit gleichmäßigen und gesteigerten Intensitäten auf dem Programm. Hinzu kommen Stretching und regelmäßiges Athletiktraining. Damit bilden Sie die grundlegende Basis, anspruchsvolles Tempo- und Ausdauertraining durchzuhalten und körperlich zu tolerieren.

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Schneller zur Sache geht es in Tempoeinheiten, die auch Langstreckenschwimmer immer wieder absolvieren sollten. Die Intervalle sind dann oft nur 25, 50 oder 100 Meter lang und damit deutlich kürzer als beim Grundlagentraining. Dafür werden sie mit maximaler und submaximaler Intensität und vielen Pausen geschwommen. Dadurch entwickelt sich die Schwimmgeschwindigkeit für die Startphase, für Zwischensprints und für das ­Finish. Ein weiterer Vorteil: Wer im Training regelmäßig in den roten ­Bereich geht, hebt mit der Zeit auch das Tempo im soge­nannten Laktat-­Steady-State. Gemeint ist damit ein Geschwindigkeitsbereich, in dem der Organismus bei der Energiegewinnung so viel Milchsäure in den Muskeln produziert, wie er gerade noch abbauen kann, also optimales Langstreckentempo.

Im dritten Bereich des Pyramiden-Fundaments, dem Ausdauertraining, geht es um die Ermüdungstoleranz gegenüber langen Strecken. Auf dem Plan stehen Intervalle und Dauerschwimmen, die addiert im Bereich der geplanten Wettkampfstrecke und darüber hinaus liegen sollten. Munatones verweist auf die 130-Prozent-Regel, die besagt, dass man in der Lage sein sollte, im Training am Stück 30 Prozent mehr als die Wettkampfstrecke zu schwimmen. Damit stelle man sicher, die Renndistanz problemlos zu überstehen, und verschaffe sich zusätzlich einen Puf­fer für unvorhergesehene schwie­rige Bedingungen wie Wellen oder Strömung.

Bedingungen simulieren

Jetzt wird es interessant, denn jetzt geht es um die besonderen Freiwasserfähigkeiten. Rennspezifisches Training beinhaltet die Simulation von Wettkampfbedingungen und kann sowohl im Pool als auch im Freigewässer absolviert werden. Dazu gehören Startsimulationen aus dem Wasser und mit Hineinlaufen ins Wasser, physischer Kontakt beim Schwimmen im Pulk, Wasserschattenschwimmen und Positionskämpfe. All dies sind Situationen, die Beckenschwimmer in der Regel nicht gewohnt sind und die, wenn man nicht darauf vorbereitet ist, den Stresslevel vor dem Start gehörig in die Höhe treiben können. In der Vorbereitung verabredet man sich am besten mit seinen Trainingskollegen für diese besonderen Einheiten. Je mehr dabei mitmachen, desto besser. Schwimmt beispielsweise zu dritt oder zu fünft eine Strecke von 500 bis 1.000 Metern mit regelmäßigen Überholvorgängen und Führungswechseln. Schwimmt dabei so dicht wie möglich hinter eurem Vordermann und kreiselt wie Radrennfahrer beim Mann­schafts­zeit­fahren. Dadurch übt ihr energiesparendes Wasserschattenschwimmen und schärft die Konzen­tration und die Wahr­nehmung der anderen Schwimmer. Ganz nebenbei absolviert jeder Mitschwimmer durch das wechselnde Tempo eine ­äußerst effektive Ausdauereinheit.

Auch technisch bietet das Freiwasser besondere Herausforderungen wie Orientierung, Navigation, Kurven und auf sehr langen Strecken die Aufnahme von Getränken, Gels oder einer Banane während des Schwimmens. Zur Orientierung gehört das mit schlechter Technik auf Dauer äußerst anstrengende Heben des Kopfs nach vorn und das Geradeausschwimmen, das oft schwieriger ist, als man denkt, weil nicht jeder mit beiden Armen gleich stark zieht. Als regelmäßigen Test bietet es sich an, in einem See ein Ziel am Ufer anzupeilen und mit ­geschlossenen Augen 50 oder 100 Züge in diese Richtung zu schwimmen. Fällt das Ergebnis positiv aus, ist das ein Grund zur Freude. Denn wer sich im Rennen darauf verlassen kann, genau dorthin zu schwimmen, wo er hinmöchte, spart Kraft und gerät auch psychisch weniger unter Druck.

Nicht zu unterschätzen ist die Freiwasserakklimatisierung, also die Gewöhnung an außergewöhnliche und immer wieder neue Bedingungen. „Erwarte das Unerwartbare“, fasst es Munatones prägnant zusammen. Hohe Wellen, trübes Wasser, Regen und Wind, vielleicht Fische und Algen, die einen beim Schwimmen berühren: All das hat schon so manch guten Beckenschwimmer von einem Start im Open Water abgehalten. Kaltes Wasser stellt oft ein großes Problem dar. Wer sich auf einen Schwimmmarathon bei Wassertemperaturen von 16 Grad und weniger vorbereitet, muss unter Umständen Monate investieren, sich daran zu gewöhnen. Das ist kein einfacher Prozess – und es gibt keine Abkürzung.

Die hohe Kunst der Taktik im Rennen

Der deutsche Langstrecken-Bundestrainer Bernd Berkhahn sagt während der Pandemie im SWIM-Interview, was seinen Schwimmern am meisten fehlte, sei nicht das Training, sondern die Praxis. Wann greife ich an und in welchen Momenten halte ich mich zurück? Welche Schwächen haben meine Gegner und wie kann ich das Wissen darüber zu meinem Vorteil nutzen? Zugegeben, das sind Überlegungen, mit denen sich fast nur Sportler beschäftigen, die auf allerhöchstem ­Niveau um Medaillen kämpfen. Sich diese Fragen zu stellen, wird aber auch ­jeden anderen Schwimmer weiterbringen.

Peter Jacob
Peter Jacob
Mit sechs hieß es für den kleinen Peter schwimmen lernen - falls er mal ins Wasser fällt. Inzwischen ist er groß und schwimmt immer noch jede Woche. Mal mehr, mal weniger, meistens drinnen und manchmal draußen. Und immer mit viel Spaß und Leidenschaft.

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