Dienstag, 19. März 2024
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Bodensee, du bist mein Freund

In den kühnsten Träumen hätte ich mir das nicht so vorgestellt: drei Herbsttage wie im Hochsommer. Am Abend vor dem Start dieser Bodenseequerung in Radolfzell lacht die Sonne vom Himmel. Es ist schon Herbst, doch alles fühlt sich an wie Hochsommer. Die Wasseroberfläche ist spiegelglatt. Am anderen Ufer die Mettnau und am Horizont die Reichenau, mein Ziel am Schwimmtag Nummer eins.

Nach einem heftigen Gewitter in der Nacht ist der Morgen ziemlich grau. Es nieselt. Doch das kann einen Schwimmer nicht erschüttern. Und bereits eine Stunde später lugt wieder die Sonne zwischen den Wolken hindurch. Und sie wird bleiben – drei Tage lang. 

Es ist meine letzte Seequerung in diesem Jahr – Nummer zehn. Der Bodensee ist für Freiwasserschwimmer die Krönung, er ist der größte See der Republik. Wobei die Menschen an der Müritz in Mecklenburg-Vorpommern sagen, ihrer sei der größte Binnensee des Landes. Weil der Bodensee ja bekanntlich nicht nur in Deutschland liegt, sondern auch in Österreich und in der Schweiz. Mir ist das ziemlich egal – ich bin die Müritz längst auch schon geschwommen. Zudem den Plöner See bei Kiel, den Ammer– und den Starnberger See in Bayern, das Steinhuder Meer bei Hannover, den Chiemsee bei Rosenheim, den Schweriner-, den Plauer– und den Kummerower See im Nordosten. Durch die meisten Seen bin ich der Länge nach gekrault, manche indes nicht komplett.

Martin Tschepe Bis Lindau ist es noch ein kleines Stück.

Die 10 größten Seen in Deutschland

PLATZSEEFLÄCHE (IN KM2)
1Bodensee535,9
2Müritz109,2
3Chiemsee79,9
4Schweriner See61,5
5Starnberger See56,4
6Ammer See46,6
7Plauer See38,4
8Kummerower See32,5
9Großer Plöner See30,0
10Steinhuder Meer29,1

In drei Etappen durch den See

Beim Bodensee hab ich mir vorgenommen mindestens die Hälfte der etwa 65 Kilometer zu schwimmen, auf drei Etappen verteilt. Man könnte also sagen: ein recht gemütlicher Schwimmwander-Kurzurlaub. Ich ziehe mein Gepäck wieder in einem wasserdichten Sack. Wenn sich niemand findet, der mich mit einem Boot begleitet und mir das Gepäck abnimmt. Also abwarten.

Am Tag eins kommen rund zehn Kilometer zusammen. Zunächst immer am Ufer entlang, bei Allensbach dann hinüber zur Reichenau und dann um die Halbinsel herum, bis zur Anlegestelle der Bodenseeschiffe. Inklusive einer längeren Vesperpause an der Westspitze der Reichenau bin ich vier Stunden unterwegs – es ist genau genommen also nur ein halber Schwimmtag. Mit anschließend Kaffee und Kuchen am Seeufer und später einer Schiffspassage nach Konstanz. Ich bin ganz froh, dass ich mich fürs Boot entschieden habe. Denn, mein lieber Schwan: Am Damm, der die Reichenau mit dem Land verbindet, warten viele hundert Schwäne. Ein Slalomschwimmen würde vermutlich kein Vergnügen. Und im Rhein durch Konstanz kraulen – das gäb’ vermutlich auch Ärger, mit der Wasserschutzpolizei.

Das Projekt SeenSucht läuft wieder wie geschmiert. Die Lokalzeitungen am See berichten vorab und nach dem Schwimmen. Ich finde kostenfreie Quartiere bei meiner alten Studienfreundin Susanne Raimann in Radolfzell, bei meinem Journalistenkollegen Michael Lünstroth in Konstanz, bei Alsi und Davut Sürers in Langenargen, Bekannten meines Schwimmfreunds Hamza Bakircioglu, und im Hotel Alte Schule in Lindau. Die Vereinigten Schifffahrtsunternehmen lassen ein Tagesticket springen. Am letzten Schwimmtag sponsern Bodenseeboot.de und Seechat.de mir ein Begleitboot. Allerhand Hilfestellungen sowie Sonne und knapp 19 Grad Wassertemperatur. Was will ich mehr?

Aus dem See ins Café

Tag zwei, Meersburg – Friedrichshafen, 18 Kilometer. Hamza, der bayerisch-türkische Bodenseeschwimmer aus Sonthofen, hat versprochen mich zu begleiten. Er hält Wort. Kommt am Morgen nach Meersburg. Ein kurzes Interview, dann geht’s los. Am Ufer entlang schwimmen. Das ist ohne Begleitboot sehr zu empfehlen, weil sicherer. Vorbei an Hagnau und zunächst bis Immenstadt. Wir steigen aus dem See und laufen, nass wie wir sind, auf die Terrasse eines Cafés am Ufer. Pizzapause mit Milchkaffee. Ein kurzer Plausch mit den Ausflüglern am Nebentisch, die zunächst gar nicht glauben wollen, dass wir eben tatsächlich aus Meersburg her geschwommen sind.

Martin Tschepe Salamibrötchen als Sportlerverpflegung.

Die nächste Etappe: bis nach Friedrichshafen. Die imposante Schlosskirche ist bereits aus knapp zehn Kilometern Entfernung zu erahnen. Sie wird nur ganz langsam größer. Wir werden mutiger. Oder übermütig? Schwimmen jedenfalls nicht mehr jede Bucht aus. Nehmen mitunter den direkten Weg. Sparen Strecke. 

In Friedrichshafen empfängt uns unser Freund Matthias Müller. Er arbeitet ehrenamtlich bei der Wasserwacht Lindau – und verspricht, dass er uns zum Nachtquartier nach Langenargen fährt und am nächsten Tag die letzten Kilometer mit dem Bugklappenboot Barracuda eskortieren wird.

Brote, Kaffee, Cola, Bananen, Gummibärchen

Tag drei, Langenargen – Lindau, gut zwölf Kilometer. Das Wetter wird immer besser. Es ist traumhaft. Wie Urlaub – nur schöner. Der Himmel und das Wasser schillern in den unterschiedlichsten Blautönen. Wenn wir nicht wüssten, dass wir im Bodensee schwimmen, die Szenerie ging glatt als ein Stückchen Südsee durch. Die Perspektive bei jedem Armzug ist grandios. Sieht mitunter aus wie gemalt von Caspar David Friedrich.

Flankiert von zwei Booten kraulen wir schnurgerade mitten durch den See – immer auf Lindau zu. Wieder ist die Stadt schon von weit weg zu sehen, der imposante Hafen mit dem südlichsten Leuchtturm Deutschlands. Das Sportboot und die Barracuda halten uns die großen weißen Ausflugsschiffe von Leib. Die letzte Pause – diesmal an Deck. Es gibt belegte Brote, Kaffee, Cola, Bananen, Gummibärchen.

Und welcher ist der tollste See?

Das aller letzte Stückchen SeenSucht. Wir schwimmen vorbei am Hafen, biegen beim Römerbad, dem angeblich schönsten Badesteg am Bodensee, nach links ab. Dann klettern wir an der Hafenmauer eine Leiter zum Vereinshaus der Wasserwacht hinauf. Oben angekommen fragt eine Dame: „Sind Sie der Mann, der durch alle großen Seen schwimmt? Ich hab von Ihrem Projekt in der Zeitung gelesen. Super.“

Dann serviert uns Matthias ein Weizenbier – und später noch eins. Die SeenSucht ist (vorerst) gestillt. 

Was bleibt? Die Erkenntnis, dass man kaum sagen kann, welcher der tollste große See der Republik ist. Dass Schwimmer überall Gleichgesinnte finden, wenn sie denn vorab ein bisschen suchen. Dass Sportler zusammenhalten, Quartiere bieten, mit schwimmen oder Bootsbegleitung organisieren, Tipps geben. Dass Deutschland ein grandioses (Urlaubs)Land ist – ganz bestimmt nicht nur für Schwimmer. 

PS

Ich hab schon ein paar Angebote von Freiwasserschwimmern, die alle sinngemäß fragen: „Wann schwimmst Du denn mit mir durch meinen See?“ Gerne. Im nächsten Sommer. Bitte melden.

Martin Tschepe
Martin Tschepehttp://www.bahn9.de/
Martin Tschepe ist freier Autor, Swimguide, Freiwasser- und Eisschwimmer des SV Ludwigsburg.

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